Portrat in Sepia
sich bei der Pflege
ab. Sie ahnte, daß wir nicht mehr oft Gelegenheit haben würden
zusammenzusein, und zum erstenmal war sie bereit, meine
Fragen zu beantworten. Wir blätterten in den Fotoalben, und sie
erklärte mir jedes Bild; sie erzählte mir von dem eigens in
Florenz bestellten Bett und von ihrer Eifersucht auf Amanda
Lowell, die aus gegenwärtiger Sicht eher komisch war; sie
sprach auch von meinem Vater und davon, welche Rolle Severo
in meiner Kindheit gespielt hatte, aber dem Punkt, der meine
Großeltern mütterlicherseits und Chinatown betraf, wich sie
entschlossen aus, sie sagte mir nur, meine Mutter sei ein sehr
schönes amerikanisches Modell gewesen, das war alles.
Manchmal setzten wir uns abends in den Wintergarten und
schwatzten mit Severo und Nivea. Er redete von den Jahren in
San Francisco und von seinen darauffolgenden Erlebnissen im
Krieg, und sie erinnerte mich an allerlei Dinge, die sich während
der Revolution zugetragen hatten, als ich erst elf Jahre alt war.
Meine Großmutter klagte nicht, aber Onkel Frederick sagte mir,
sie leide schlimme Magenschmerzen und es koste sie jeden
Morgen ungeheure Mühe, sich anzuziehen. Getreu ihrer
Überzeugung, man ist so alt, wie man sich zeigt, färbte sie sich
die paar Haare, die sie noch auf dem Kopf hatte, aber sie putzte
sich nicht mehr mit königlichen Juwelen heraus, wie sie es
früher getan hatte, »sie hat kaum noch welche«, flüsterte ihr
Mann mir einigermaßen rätselhaft zu. Das Haus sah genauso
vernachlässigt aus wie seine Herrin, fehlende Bilder hatten helle
Flecke auf den Tapeten hinterlassen, Möbel und Teppiche waren
weniger geworden, die tropischen Pflanzen im Wintergarten
waren welkes, staubiges Gestrüpp, und die Vögel schwiegen in
ihren Bauern. Was Onkel Frederick in seinen Briefen über das
Feldbett geschrieben hatte, auf dem meine Großmutter schlief,
traf genau zu. Sie hatte immer das größte Zimmer des Hauses
beansprucht, und ihr berühmtes mythologisches Bett hatte sich
in der Mitte des Raumes erhoben wie ein päpstlicher Thron; von
hier aus hatte sie ihr Imperium regiert. Die Vormittage
verbrachte sie darin, umgeben von polychrom bemalten
Meereswesen, die ein florentinischer Künstler vor vierzig Jahren
geschnitzt hatte, studierte ihre Rechnungsbücher, diktierte
Briefe, erfand Geschäfte. Die Dickleibigkeit verschwand unter
der Bettdecke, und so gelang es ihr, eine Illusion von Zartheit
und Schönheit zu schaffen. Ich hatte sie unzählige Male in
diesem wuchtigen Bett fotografiert, und mir kam der Gedanke,
sie jetzt in ihrem bescheidenen Baumwollnachthemd und ihrem
Großmütterchenschal auf einer Büßerpritsche aufzunehmen,
aber da weigerte sie sich rundweg. Ich sah, was alles aus ihrer
Wohnung verschwunden war: die schönen, mit Seide bezogenen
französischen Polstermöbel, der große, aus Indien stammende
Schreibtisch aus Palisander mit den Perlmuttverzierungen, die
Teppiche und die Gemälde, es gab nur noch einen großen
gekreuzigten Christus an der Wand. »Sie verschenkt die Möbel
und die Juwelen an die Kirche«, erklärte mir Frederick
Williams, worauf wir beschlossen, die Nonnen durch
Krankenschwestern zu ersetzen und auf irgendeine Weise, und
sei es mit Gewalt, die Besuche des apokalyptischen Priesters zu
unterbinden, denn nicht genug, daß er dies und jenes
wegschleppte, befleißigte er sich auch noch, Angst und
Schrecken zu säen. Iván Radovic, der einzige Arzt, dem Paulina
vertraute, war völlig einverstanden mit unseren Maßnahmen. Es
tat gut, den alten Freund wiederzusehen - wahre Freundschaft
siegt über Zeit, Entfernung und Schweigen, wie er sagte - und
ihm unter beiderseitigem Gelächter zu gestehen, daß er in
meiner Erinnerung immer als Dschingis Khan verkleidet
erscheint. »Das sind die slawischen Backenknochen«, erklärte er
gutgelaunt. Er hatte immer noch einen leichten Anflug von
Tatarenfürst, aber der Umgang mit den Kranken in dem
Armenhospital, in dem er arbeitete, hatte ihn gesänftigt,
außerdem wirkte er in Chile nicht so exotisch wie in England, er
hätte ein toqui, ein Araukanerhäuptling, sein können, nur war er
größer und sauberer. Er war ein schweigsamer Mensch, der sehr
aufmerksam zuhören konnte, selbst Adelas unaufhörlichem
Geplapper, die sich sofort in ihn verliebt hatte. Gewöhnt, ihren
Vater einzuwickeln, versuchte sie die gleiche Methode, um Iván
Radovic zu betören. Pech für sie, daß der Doktor sie nur als
unschuldiges kleines
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