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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Lippen auf meiner Stirn. Ich fühlte mich verpflichtet, sie vor der
Katastrophe zu bewahren, die in der Familie brütete; ich war
bereit, in Caleufú zu bleiben und meine Demütigung als
abgewiesene Ehefrau zu verheimlichen, denn wenn ich ginge
und sie die Wahrheit entdeckte, würde sie vor Schmerz und
Scham sterben. Ihr Leben drehte sich um diese Familie, um die
Bedürfnisse jedes einzelnen, der in den Wänden ihres Hauses
lebte, das war ihre ganze Welt. Mein Abkommen mit Diego sah
so aus, daß ich meinen Teil erfüllte, solange Dona Elvira am
Leben war, und danach frei sein würde, er seinerseits würde
mich dann gehenlassen und nie wieder Verbindung zu mir
aufnehmen. Ich würde meinen Status als »Getrenntlebende« den viele als entehrend ansahen - ertragen müssen und nicht
wieder heiraten können, aber wenigstens würde ich nicht mit
einem Mann zusammenleben müssen, der mich nicht liebte.
    Mitte September, als ich schon keinen Vorwand mehr wußte,
um im Haus meiner Schwiegereltern bleiben zu können, und der
Augenblick da war, wieder zu Diego zu ziehen, erreichte mich
das Telegramm von Iván Radovic. In wenigen Zeilen teilte der
Arzt mir mit, daß ich nach Santiago kommen müsse, weil das
Ende meiner Großmutter nahe. Ich hatte diese Nachricht schon
seit Monaten erwartet, aber als ich das Telegramm in Händen
hielt, trafen mich Überraschung und Kummer wie ein
Keulenhieb. Meine Großmutter war unsterblich. Ich konnte sie
mir nicht als die kleine, kahlköpfige und gebrechliche Greisin
vorstellen, die sie doch war, ich sah sie nur als die Amazo ne mit
zwei Perücken, naschhaft und verschlagen, die sie vor Jahren
gewesen war. Dona Elvira nahm mich in die Arme und sagte,
ich solle mich nicht verlassen fühlen, ich habe doch jetzt eine
andere Familie, ich gehöre nach Caleufú und sie werde sich um
mich kümmern und mich beschützen, wie es früher Paulina del
Valle getan habe. Sie half mir, meine zwei Koffer zu packen,
hängte mir das Skapulier mit dem Heiligen Herzen Jesu um den
Hals und überschüttete mich mit tausend guten Ratschlägen; für
sie war Santiago eine Höhle der Verderbnis und die Reise
dorthin ein höchst gefährliches Abenteuer. Es war um die Zeit,
als die Sägemühle nach der langen Winterpause wieder in
Betrieb genommen wurde, eine gute Ausrede für Diego, mich
nicht nach Santiago zu begleiten, obwohl das seine Mutter
beharrlich verlangte. So brachte Eduardo mich auf den Weg
zum Schiff. Alle standen sie vor der Tür des großen Hauses und
winkten mir zum Abschied: Diego, meine Schwiegereltern,
Adela, Susana, die Kinder und mehrere Bauern. Ich ahnte nicht,
daß ich sie nicht wiedersehen würde.
    Vor der Abreise hatte ich mein Labor durchforstet, in das ich
seit der unglückseligen Nacht im Stall keinen Fuß mehr gesetzt
hatte, und stellte fest, daß jemand die Fotos von Diego und
Susana entwendet hatte, aber weil er sie ohnehin nicht
entwickeln konnte, hatte er nach den Negativen nicht gesucht.
Ich brauchte diese jämmerlichen Beweise nicht und zerstörte sie.
Ich packte die Aufnahmen von den Indios, den Bauersleuten von
Caleufú und dem Rest der Familie mit ein, da ich nicht wußte,
wie lange ich fort sein würde, und ich wollte nicht, daß sie
verdarben. Eduardo und ich legten den Weg zu Pferde zurück,
das Gepäck war auf ein Maultier geschnallt, bei den
Hüttensiedlungen machten wir halt, um zu essen und etwas
auszuruhen. Mein Schwager, dieser Mannskerl, der aussah wie
ein Bär, hatte den gleichen sanften Charakter wie seine Mutter,
die gleiche fast kindliche Arglosigkeit. Unterwegs hatten wir
Zeit, uns allein zu unterhalten, wie wir es nie zuvor getan hatten.
Er gestand mir, daß er seit seinen Kindertagen Gedichte schrieb,
»wie sollte man auch anders können, wenn man mitten in soviel
Schönheit lebt?« sagte er und zeigte auf die waldige, von
Bächen und Flüssen bewässerte Landschaft ringsum. Er erzählte
mir, er habe keinerlei ehrgeizige Bestrebungen, er sei nicht
neugierig auf andere Horizonte, wie es Diego sei, ihm genüge
Caleufú. Als er in seiner Jugend durch Europa reiste, habe er
sich verloren und tiefunglücklich gefühlt, er könne nicht fern
von diesem Land leben, das er liebe. Gott sei sehr großmütig zu
ihm gewesen, er habe ihn mitten ins irdische Paradies gesetzt.
Am Hafen verabschiedeten wir uns mit einer festen Umarmung
voneinander, »möge Gott dich immer beschützen«, sagte ich
ihm ins Ohr. Etwas verdutzt über

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