Portrat in Sepia
ich.
»Hier ist jetzt dein Zuhause, Aurora, wir sind verheiratet. Was
Gott zusammengefügt hat, kann man nicht trennen.«
»Du bist es doch, der gleich mehrere göttliche Gebote verletzt
hat«, sagte ich.
»Wir könnten wie Geschwister zusammenleben. Dir wird an
meiner Seite nichts fehlen, ich werde dich immer achten, du
wirst beschützt sein und jede Freiheit haben, dich deinen
Fotografien zu widmen oder wozu du sonst Lust hast. Nur um
das eine bitte ich dich: Mach keinen Skandal aus der Sache.«
»Du kannst mich um gar nichts mehr bitten, Diego.«
»Ich bitte dich nicht für mich. Ich habe ein dickes Fell und
kann für mich selber einstehen wie ein Mann. Ich bitte dich
meiner Mutter wegen. Sie würde es nicht ertragen…«
Also blieb ich Dona Elviras wegen. Ich weiß nicht, wie ich es
schaffte, mich anzuziehen, mir Wasser ins Gesicht zu spritzen,
mich zu kämmen, Kaffee zu trinken und für meine täglichen
Obliegenheiten aus dem Haus zu gehen. Ich weiß nicht, wie ich
Susana am Mittagstisch begegnete, noch, wie ich meinen
Schwiegereltern meine geschwollenen Augen erklärte. Dieser
Tag war einfach schrecklich, ich fühlte mich, als wäre ich
verprügelt und betäubt worden, und war immer nahe daran, bei
der erstbesten Frage in Tränen auszubrechen. Am Abend hatte
ich Fieber und Gliederschmerzen, aber am Tag darauf war ich
ruhiger, sattelte mein Pferd und galoppierte los, den Hügeln zu.
Bald begann es zu regnen, und ich ritt im Trab weiter, bis meine
arme Stute nicht mehr konnte und zurück zum Stall drängte. Da
stieg ich ab und bahnte mir zu Fuß den Weg durch Gestrüpp und
Schlamm unter den Bäumen hin, rutschend und fallend und
wieder aufstehend und schreiend aus voller Lunge, während der
Regen mich gründlich einweichte. Der nasse Poncho wog so
schwer, daß ich ihn abwarf und ohne ihn weiterging, zitternd vor
Kälte und inwendig verbrennend. Gegen Abend kam ich nach
Hause, krächzend und fiebrig, trank einen heißen Kräutertee und
ging zu Bett. An das Weitere erinnere ich mich nur schwach,
denn in den folgenden Wochen war ich ganz damit beschäftigt,
mich mit dem Tod herumzuschlagen, und hatte weder Zeit noch
Lust, an die Tragödie meiner Ehe zu denken. Die Nacht, die ich
barfuß und halb nackt im Stall verbracht hatte, und der wilde
Ritt im Regen bescherten mir eine Lungenentzündung, die mich
fast erledigt hätte. Im Ochsenkarren fuhren sie mich in das
Krankenhaus der Deutschen, wo ich den Händen einer
teutonischen Krankenschwester mit blonden Zöpfen überliefert
wurde, die mir mit ihrer Hartnäckigkeit das Leben rettete. Diese
edle Walküre brachte es fertig, mich mit ihren kräftigen
Holzfällerarmen wie ein Baby hochzuheben, und brachte es
ebenso fertig, mich geduldig wie eine Amme Löffelchen um
Löffelchen mit Hühnerbrühe zu füttern. Anfang Juli, als der
Winter sich endgültig eingenistet hatte und die Landschaft eine
schiere Wasserwüste war
- wild tobende Flüsse,
Überschwemmungen, Morast, Regen und noch mal Regen -,
holten Diego und zwei Bauern mich im Krankenhaus ab und
brachten mich, in Decken und Felle gewickelt wie ein Paket,
zurück nach
Caleufú. Sie hatten ein Zelt aus gewachster
Leinwand auf dem Karren aufgestellt mit einem Bett darin und
sogar einem brennenden Kohlenbecken, um der Feuchtigkeit zu
wehren. Schwitzend in meiner Verpackung fuhr ich so den
langen Weg nach Hause, während Diego nebenher ritt.
Mehrmals blieben die Räder stecken, die Kraft der Ochsen
reichte nicht aus, den Wagen allein weiterzuziehen, die Männer
mußten Bretter über den Schlamm legen und schieben. Diego
und ich wechselten nicht ein Wort an diesem langen Tag. In
Caleufú kam Dona Elvira aus dem Haus und begrüßte mich
weinend vor Freude, aufgeregt trieb sie die Mädchen an, damit
sie ja nichts vernachlässigten: die Kohlenbecken, die
Wärmflaschen mit heißem Wasser, die Suppen mit Kälberblut,
damit ich wieder Farbe bekam und Lust am Leben. Sie habe so
viel gebetet, sagte sie, daß Gott sich erbarmt habe. Unter dem
Vorwand, daß ich mich noch sehr anfällig fühlte, bat ich sie, im
großen Haus schlafen zu dürfen, und sie brachte mich in einem
Zimmer neben dem ihren unter. Zum erstenmal in meinem
Leben erfuhr ich die Fürsorge einer Mutter. Meine Großmutter
Paulina, die mich so sehr liebte und soviel für mich getan hatte,
neigte nicht zu Zärtlichkeitsbekundungen, obwohl sie im
Grunde doch ziemlich sentimental war. Sie sagte, Zärtlichkeit,
diese
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