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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Lynn sah ihn sekundenlang an, dann gehorchte sie
langsam, während ihr Tränen der Scham über die Wangen
liefen. Diese unerwartete stumme Wehklage schuf eine eisige
Stille im Raum, die Männer wandten den Blick ab, und eine
ganze Zeit lang standen sie da mit ihren Kameras, ohne zu
wissen, was sie tun sollten. Da nahm Matías reumütig - ein
Gefühl, das ihn zum ersten Mal in seinem Leben heimsuchte einen Mantel, wickelte Lynn darin ein und nahm sie in die
Arme. »Verschwindet! Jetzt ist Schluß!« herrschte er seine
Gäste an, die einer nach dem ändern verlegen den Raum
verließen.
Allein mit ihr, zog Matías sie auf seine Knie und begann sie
zu wiegen wie ein Kind, und in Gedanken bat er sie um
Verzeihung, aber die Worte auszusprechen, war er nicht fähig,
während sie still weiterweinte. Schließlich führte er sie sanft
hinter den Wandschirm zum Bett, legte sich Arm in Arm mit ihr
wie ein Bruder hinein, strich ihr über den Kopf, küßte ihr die
Stirn, von einem unbekannten und übermächtigen Gefühl
verwirrt, das er nicht zu benennen wußte. Ihn verlangte nicht
nach ihr, er wollte sie nur beschützen und ihre unberührte
Unschuld schonen, aber die samtige Geschmeidigkeit ihrer
Haut, ihr weiches Haar, das ihn umhüllte, und ihr Duft nach
reifen Äpfeln besiegten ihn. Die rückhaltlose Hingabe dieses
lebensvollen Körpers, der sich der Berührung seiner Hände
öffnete, überrumpelte ihn, und ohne zu wissen, wie ihm
geschah, begann er sie zu erforschen, küßte sie mit einer
Begierde, wie sie noch keine Frau je in ihm erregt hatte, schob
ihr die Zunge in den Mund, in die Ohren, überallhin, preßte sie
in die Kissen, drang in sie ein in einem Strudel unbezähmbarer
Leidenschaft, ritt auf ihr ohne Erbarmen, blind, zügellos, bis er
sich in einem ungeheuren Orgasmus entlud. Einen ganz kurzen
Augenblick befanden sie sich in einer anderen Dimension,
schutzlos, nackt in Körper und Geist. Matías war soeben eine
tiefe Vertraulichkeit offenbart worden, die er bislang vermieden
hatte, ohne auch nur zu wissen, daß es sie gab, er hatte eine
letzte Grenze überschritten und fand sich auf der anderen Seite,
allen Wollens beraubt. Er hatte mehr Geliebte gehabt -Frauen
und Männer -, als sich zu erinnern sinnvoll war, aber nie hatte er
so die Kontrolle verloren, so gründlich die Ironie, die Distanz,
das Bewußtsein der eigenen unberührbaren Individualität
eingebüßt, um schlicht mit einem anderen menschlichen Wesen
zu verschmelzen. In gewisser Weise hatte auch er in dieser
Umarmung die Jungfräulichkeit verloren. Die Abirrung dauerte
nur eine winzige Zeitspanne, aber sie reichte aus, ihn mit
Entsetzen zu erfüllen; er kehrte zurück in seinen erschöpften
Körper und verschanzte sich sofort in der Rüstung seines
gewöhnlichen Sarkasmus. Als Lynn die Augen öffnete, war er
schon nicht mehr der Mann, mit dem sie sich geliebt hatte,
sondern wieder der, der er vorher gewesen, aber sie war nicht
erfahren genug, das zu erkennen. Mit schmerzendem Schoß,
blutend, glücklich überließ sie sich dem Trugbild einer
illusorischen Liebe, während Matías sie im Arm hielt, wiewohl
sein Geist ferne Wege ging. So lagen sie, bis die Helligkeit
hinter dem Fenster völlig vergangen war und Lynn begriff, daß
sie zu ihrer Mutter zurückmußte. Matías half ihr, sich
anzuziehen, und begleitete sie bis in die Nähe des Teesalons.
»Wart auf mich, morgen um dieselbe Zeit komme ich wieder«,
flüsterte sie beim Abschied.
    Severo erfuhr erst drei Monate später, was an diesem Tag
geschehen und was darauf gefolgt war. Im April 1879 erklärte
Chile seinen Nachbarn Peru und Bolivien den Krieg - es ging
um Land, Salpeter und Großmannssucht. Der Salpeterkrieg war
ausgebrochen. Als die Nachricht San Francisco erreichte, eilte
Severo zu seiner Tante und kündigte ihr an, daß er abreisen
werde, um in den Kampf zu ziehen. »Waren wir uns nicht einig,
daß du nie wieder eine Kaserne betreten würdest?« erinnerte ihn
Tante Paulina.
    »Dies ist etwas anderes, mein Vaterland ist in Gefahr.«
»Du bist Zivilist.«
    »Ich bin Reserveoffizier«, erklärte er. »Der Krieg wird zu
Ende sein, ehe du auch nur in Chile landest. Warten wir ab, was
die Zeitungen schreiben und was deine Familie meint. Überstürz
es nicht«, riet sie.
    »Es ist meine Pflicht«, entgegnete Severo und dachte an
seinen Großvater, den Patriarchen Agustin del Valle, der vor
kurzem verstorben war, auf Schimpansengröße

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