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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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derselbe, der Monate zuvor den Degen
Kapitän Prats an dessen Witwe übersandt hatte, starb so
heldenhaft wie damals jener. Für Peru war das eine Katastrophe,
denn dadurch, daß es die Kontrolle über die Seewege einbüßte,
waren die Verbindungen abgeschnitten und seine Heere
zersplittert und isoliert. Die Chilenen beherrschten das Meer, sie
konnten nun ihre Truppen bis zu den neuralgischen Punkten im
Norden schaffen und den Plan ausführen, durch feindliches
Gebiet vorzurücken und Lima zu erobern. Severo verfolgte die
Nachrichten genauso leidenschaftlich wie seine übrigen
Landsleute in den Vereinigten Staaten, aber seine Liebe zu Lynn
wog schwerer als sein Patriotismus, und so beschleunigte er
seine Rückreise nach Chile noch immer nicht.
    In der Morgenfrühe des zweiten Montags im Oktober
erwachte Lynn mit einem durchweichten Nachthemd und schrie
auf vor Entsetzen, weil sie glaubte, sie habe eingenäßt. »Pech,
die Fruchtblase ist zu früh geplatzt«, sagte Tao Chi’en zu seiner
Frau, aber seiner Tochter zeigte er sich lächelnd und ruhig. Zehn
Stunden später, als die Kontraktionen noch immer kaum
wahrnehmbar waren und die Familie es müde wurde, weiter
Mah-Jongg zu spielen, um Lynn abzulenken, entschloß Tao
sich, zu seinen Kräutern zu greifen. Die werdende Mutter lachte
herausfordernd: waren das die Wehen, vor denen man ihr soviel
Angst gemacht hatte? Sie seien erträglicher als die
Leibschmerzen, die man vom chinesischen Essen bekam, sagte
sie eher verdrossen als ängstlich. Außerdem hatte sie Hunger,
aber ihr Vater erlaubte ihr nur, Wasser und die Aufgüsse aus
Heilkräutern zu trinken, während er sie mit Akupunktur
behandelte, um die Entbindung zu beschleunigen. Die
Kombination von Pflanzenextrakten und goldenen Nadeln tat
ihre Wirkung, und gegen Abend, als Severo zu seinem täglichen
Besuch erschien, fand er Lucky verstört vor der Tür und das
Haus erschüttert von Lynns Stöhnen und dem Wortschwall einer
chinesischen Hebamme, die kreischte, statt zu sprechen, und mit
Wasserkrügen und Tüchern hin und her rannte. Tao Chi’en
duldete sie, weil sie in diesen Dingen mehr Erfahrung hatte als
er, aber er erlaubte ihr nicht, Lynn zu quälen, indem sie sich auf
sie setzte und ihren Bauch mit Fausthieben bearbeitete, wie sie
vorhatte. Severo blieb im Wohnzimmer, drückte sich gegen die
Wand und bemühte sich, von niemandem bemerkt zu werden.
Jeder Klagelaut von Lynn bohrte sich ihm in die Seele, er
wünschte zu fliehen, so weit fort wie möglich, aber er konnte
sich aus seiner Ecke nicht fortrühr en. Endlich erblickte er Tao
Chi’en, ruhig wie immer, mit der gewohnten Sorgfalt gekleidet.
    »Darf ich hier warten? Störe ich auch nicht? Wie kann ich
helfen?« stammelte Severo und trocknete sich den Schweiß ab,
der ihm den Hals hinunterlief. »Sie stören durchaus nicht, junger
Mann, aber helfen können Sie Lynn nicht, sie muß ihre Arbeit
alleine machen. Dafür könnten Sie jedoch Eliza helfen, sie ist
ein bißchen aufgeregt.«
    Eliza hatte die Qualen des Gebärens durchgemacht und wußte
wie jede Frau, daß man dabei an der Schwelle des Todes stand.
Sie kannte den mühsamen und geheimnisvollen Weg, bei dem
der Körper sich öffnet, um ein anderes Leben hinauszulassen;
sie erinnerte sich an den Augenblick, an dem man beginnt,
haltlos einen Abhang hinunterzurollen, regellos kämpfend und
pressend, an die Angst, an die Schmerzen und an das maßlose
Staunen, wenn das Kind sich endlich löst und am Licht
erscheint. Tao Chi’en mit all seinem Wissen eines zhong yi brauchte länger als Eliza, um zu erkennen, daß in Lynns Fall
etwas sehr böse lief. Die Mittel der chinesischen Medizin hatten
starke Kontraktionen bewirkt, aber das Kind lag schlecht und
wurde vom Knochenbau seiner Mutter eingeklemmt. Es sei eine
harte und schwere Geburt, erklärte Tao Chi’en, aber seine
Tochter sei stark, und alles hänge davon ab, daß Lynn die Ruhe
behielt und sich nicht mehr als nötig anstrengte; bei diesem
Wettlauf komme es auf Ausdauer, nicht auf Schnelligkeit an,
fügte er hinzu. In einer Pause verließ Eliza, genauso abgekämpft
wie Lynn selbst, das Zimmer und traf im Gang Severo. Sie
winkte ihm, und er folgte ihr verwundert in das kleine
Altarzimmer, in dem er vorher noch nie gewesen war. Auf
einem niedrigen Tisch standen ein einfaches Kreuz, eine kleine
Statue von Kuan Yin, der chinesischen Göttin des Erbarmens,
und eine schlichte Tuschzeichnung einer Frau in

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