Portrat in Sepia
nichtsdestoweniger quält er mich immer noch. Meiner Träume
wegen bin ich anders, so wie die Menschen, die wegen eines
Geburtsfehlers oder einer körperlichen Mißbildung ständig Kraft
und Mühe aufwenden müssen, um ein normales Leben führen zu
können. Sie tragen deutlich sichtbare Zeichen, das meine sieht
man nicht, aber es existiert, ich kann es mit epileptischen
Anfällen vergleichen, die einen plötzlich überkommen und
lauter Wirrnis hinterlassen. Wenn ich abends zu Bett gehe, bin
ich immer in Angst, ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn
ich schlafe, oder wie ich aufwachen werde. Ich habe
verschiedene Möglichkeiten gegen meine nächtlichen Dämonen
ausprobiert, von Orangenlikör mit ein paar Tropfen Opium bis
zu hypnotischer Trance und anderen Formen der Nekromantie,
aber nichts garantiert mir einen friedlichen Schlaf außer guter
Gesellschaft. In eines andern Arm zu schlafen ist bis heute das
einzige verläßliche Mittel. Ich sollte heiraten, wie mir alle Welt
rät, aber das habe ich schon getan, und es war ein schlimmer
Reinfall, noch einmal kann ich das Schicksal nicht
herausfordern. Mit dreißig Jahren und ohne Ehemann bin ich
nicht viel mehr als eine komische Figur, meine Freundinnen
betrachten mich mitleidig, wenn auch einige mich vielleicht
wegen meiner Unabhängigkeit beneiden. Ich bin nicht allein, ich
habe einen heimlichen Geliebten, eine Liebe ohne Bindung und
ohne Bedingung, was überall Grund genug für einen Skandal
wäre, vor allem aber hier, wo wir nun einmal leben. Ich bin
weder ledig noch Witwe, noch geschieden, ich lebe im
Niemandsland der »Getrenntlebenden«, wo die unglücklichen
Frauen landen, die den öffentlichen Hohn dem Leben mit einem
Mann vorziehen, den sie nicht lieben. Wie könnte es auch
anders sein in Chile, wo die Ehe ewig und unerbittlich
unauflöslich ist? Manchmal frühmorgens, wenn mein Geliebter
und ich, die Körper feucht von Schweiß und ermattet von
gemeinsamen Träumen, noch in diesem halb unbewußten
Zustand der unumschränkten Zärtlichkeit nebeneinander ruhen,
glücklich und vertrauensvoll wie schlaftrunkene Kinder,
erliegen wir der Versuchung, von Heiraten zu reden, von
Fortgehen, in die Vereinigten Staaten zum Beispiel, wo es soviel
Raum gibt und niemand uns kennt, um zusammenzuleben wie
ein normales Paar, aber wenn dann die Sonne ins Fenster
scheint, erwachen wir und reden nicht mehr davon, denn wir
wissen beide, daß wir nirgendwo anders leben könnten als in
diesem Chile mit seinen geologischen Katastrophen und der
menschlichen Engstirnigkeit, aber auch dem Chile mit rauhen
Vulkanen und schneebedeckten Gipfeln, mit uralten, wie von
Smaragden übersäten Seen, mit schäumenden Flüssen und
duftenden Wäldern, einem Land so schmal wie ein Band, der
Heimat armer und noch immer unschuldiger Menschen trotz so
vielen und vielfältigen Machtmißbrauchs. Weder würde er
gehen können, noch werde ich müde werden, es zu
fotografieren. Ich hätte gerne Kinder, das ja, aber ich habe
endgültig akzeptiert, daß ich niemals Mutter sein werde; ich bin
nicht unfruchtbar, ich bin fruchtbar in anderen Hinsichten.
Nivea del Valle sagt, ein menschliches Wesen definiert sich
nicht durch seine Fortpflanzungsfähigkeit, was, von ihr
ausgesprochen, denn doch wie Ironie klingt, immerhin hat sie
über ein Dutzend Kinder zur Welt gebracht. Aber ich sollte hier
nicht von den Kindern sprechen, die ich nicht haben werde, oder
von meinem Geliebten, sondern von den Ereignissen, die
letztlich bestimmt haben, wer ich bin. Mir ist sehr wohl bewußt,
daß ich beim Niederschreiben dieses Berichtes andere verraten
muß, aber das ist unvermeidlich. »Denk daran, schmutzige
Wäsche wird zu Hause gewaschen«, sagt Severo mir immer
wieder, der wie wir alle nach diesem Leitsatz erzogen wurde.
»Schreib ehrlich und kümmere dich nicht um die Gefühle
anderer, denn was du auch sagst, hassen werden sie dich
sowieso«, sagt dagegen Nivea. Also weiter.
Da es mir nun einmal nicht möglich ist, meine Albträume zu
besiegen, versuche ich wenigstens, sie zu nutzen. Ich habe
festgestellt, daß ich nach einer qualvollen Nacht wie in Trance
und zugleich höchst erregbar bin, ein hervorragender Zustand
für schöpferische Arbeit. Meine besten Fotos sind an Tagen wie
diesen entstanden, wenn ich weiter nichts möchte als mich unter
dem Tisch verkriechen wie in der ersten Zeit bei Großmutter
Paulina. Der Traum von den Wesen in den schwarzen Pyjamas
hat mich
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