Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
Lynn Senor Severo del
Valle geheiratet hat, beweist, daß Ihr Sohn die Wahrheit sagte,
Paulina. Das Blut meiner Enkeltochter ist nicht das Ihre, aber
ich wiederhole, Sie können sie jederzeit sehen, wann immer Sie
wünschen. Je mehr Menschen ihr Liebe entgegenbringen, desto
besser für sie.« In der folgenden halben Stunde stritten die
Frauen gegeneinander wie die Gladiatoren, jede auf ihre Weise.
Paulina del Valle wechselte von der Schmeichelei zur
Feindseligkeit, von der Bitte zum verzweifelten Mittel der
Bestechung, und als ihr alles mißriet, ging sie zur Drohung über,
ohne daß die andere Großmutter auch nur ein Jota von ihrer
Haltung abwich, außer daß sie die Kleine sanft an sich nahm
und wieder in die Wiege legte. Paulina stieg irgendwann die
Wut in den Kopf, sie verlor völlig die Übersicht über die
Situation und fing an zu schreien, Eliza Sommers werde schon
sehen, wer die Rodriguez de Santa Cruz waren, wieviel Macht
sie in dieser Stadt hatten und wie gründlich sie sie fertigmachen
könnten, sie und ihren dämlichen Kuchenladen und ihren
Chinesen noch dazu, keiner könne sich erlauben, sich Paulina
del Valle zur Feindin zu machen, und früher oder später werde
sie ihr die Kleine einfach wegnehmen, da könne sie ganz sicher
sein, denn der Mensch sei noch nicht geboren, der sich ihr in
den Weg stellte. Mit der Hand fegte sie die feinen
Porzellantassen und die chilenischen Leckerbissen vom Tisch,
daß alles in einer stäubenden Zuckerwolke auf dem Boden
zersprang, und rannte hinaus, schnaubend wie ein Kampfstier. In
der Kutsche dann, während das Blut ihr durch die Adern raste
und das Herz gegen die ins Korsett eingesperrten Fettschichten
stampfte, fing sie an zu weinen und zu schluchzen, wie sie nicht
mehr geweint hatte, seit sie sich einen Riegel an ihre
Schlafzimmertür hatte machen lassen und in dem großen
mythologischen Bett allein geblieben war. Wie damals hatte ihre
beste Waffe versagt: die Fähigkeit, wie ein arabischer Händler
zu feilschen, die ihr in anderen Lebenslagen soviel Erfolg
gebracht hatte. Weil sie zuviel gefordert hatte, hatte sie alles
verloren.

Zweiter Teil
1880-1896
    Es gibt ein Foto von mir, auf dem bin ich drei oder vier Jahre
alt, das einzige aus jener Zeit, das die Wechselfälle des
Schicksals und den Beschluß Paulinas, meine Herkunft zu
verwischen, überlebt hat. Es ist ein abgegriffenes Stück Pappe in
einem Reiserahmen, einem dieser alten Etuis aus Samt und
Metall, die noch vor wenigen Jahrzehnten so modern waren und
die heute niemand mehr benutzt. Auf dem Foto sieht man ein
sehr kleines Wesen, zurechtgemacht wie eine chinesische Braut
mit einer langen Tunika aus besticktem Satin und darunter einer
Hose in einem anderen Ton; an den Füßen trägt es feine, auf
weißen Filz gearbeitete Pantöffelchen, geschützt durch dünne
Holzsohlen; das dunkle Haar ist zu einem für sein Alter zu
großen Knoten aufgebauscht und wird von zwei dicken Nadeln
aus Gold oder Silber gehalten, die eine kurze Blumengirlande
verbindet. Das kleine Mädchen hat einen geöffneten Fächer in
der Hand, und es könnte sein, daß es lacht, aber man kann die
Gesichtszüge kaum erkennen, das Gesicht ist nur ein heller
Mond und die Augen zwei schwarze Fleckchen. Hinter der
Kleinen erkennt man das gewaltige Haupt eines Papierdrachen
und die flimmernden Funken eines Feuerwerks. Das Foto wurde
während der Feier zum chinesischen Neujahrsfest in San
Francisco aufgenommen. Ich erinnere mich nicht daran und
erkenne nicht das Kind auf diesem einzigen Bild.
    Meine Mutter Lynn Sommers dagegen erscheint auf
verschiedenen Fotos, die ich beharrlich und dank guter
Verbindungen vor dem Vergessen gerettet habe. Vor einigen
Jahren lernte ich in San Francisco meinen Onkel Lucky kennen
und machte mich daran, alte Buchhandlungen und Fotoateliers
zu durchforsten und nach Kalendern und Postkarten zu suchen,
für die sie Modell gestanden hatte; hin und wieder bekomme ich
heute noch welche geschickt, wenn Onkel Lucky sie irgendwo
auftreibt. Meine Mutter war sehr hübsch, das ist alles, was ich
über sie sagen kann, denn auch sie erkenne ich auf diesen
Bildern nicht. Natürlich erinnere ich mich nicht an sie,
schließlich starb sie, als ich geboren wurde, aber das Mädchen
auf den Kalendern ist eine Fremde, ich habe nichts von ihr, es
gelingt mir nicht, sie als meine Mutter zu sehen, nur als ein
Spiel von Licht und Schatten auf dem Papier, Sie sieht auch
nicht aus, als wäre

Weitere Kostenlose Bücher