Portrat in Sepia
jetzt laß dich erst mal
willkommen heißen. Drüben wartet eine Kutsche«, unterbrach
sie ihn.
Als die Koffer im Wagen untergebracht waren, wies Nivea
den Kutscher an, langsam am Meeresufer entlangzufahren. Das
gab ihnen Zeit zum Reden, bevor sie zu Hause ankamen, wo die
Familie auf sie wartete. »Ich habe mich dir gegenüber wie ein
Schuft benommen, Nivea. Das einzige, was ich zu meinen
Gunsten sagen kann, ist, daß ich dich nie leiden lassen wollte«,
murmelte Severo, wagte aber nicht, sie anzusehen. »Ich gebe zu,
ich war wütend auf dich, ich mußte mir auf die Zunge beißen,
damit ich dich nicht verfluchte, aber jetzt bin ich dir nicht mehr
böse. Ich glaube, du hast mehr gelitten als ich. Mir tut wirklich
schrecklich leid, was deiner Frau zugestoßen ist.«
»Woher weißt du, was passiert ist?«
»Ich bekam ein Telegramm mit der Todesnachricht,
aufgegeben war es von einem gewissen Williams.« Severos
erste Reaktion war Zorn - wie konnte sich der Butler erlauben,
sich auf diese Weise in sein Privatleben einzumischen? -, aber
dann regte sich doch Dankbarkeit in ihm, dieses Telegramm
ersparte ihm einiges an schmerzlichen Erklärungen. »Ich kann
nicht hoffen, daß du mir verzeihst, nur, daß du mich vergißt,
Nivea. Du verdienst mehr als jeder andere, glücklich zu
werden…«
»Wer hat gesagt, daß ich glücklich sein will, Severo?
Das ist gewiß das letzte Adjektiv, um die Zukunft zu
bezeichnen, die ich mir wünsche. Das Leben, das ich für mich
will, soll interessant sein, abenteuerlich, andersartig,
leidenschaftlich - kurz, alles andere eher als glücklich.«
»Ach, Nivea, es ist wunderbar, wie wenig du dich verändert
hast! Ich werde jedenfalls in ein paar Tagen mit dem Heer nach
Peru marschieren, und ich hoffe offen gesagt, in den Stiefeln zu
sterben, denn mein Leben hat keinen Sinn mehr.«
»Und deine Tochter?«
»Wie ich sehe, hat Williams dir alle Einzelheiten berichtet.
Weißt du von ihm auch, daß ich nicht der Vater dieses Kindes
bin?«
»Wer ist es?«
»Unwichtig. Nach dem Gesetz ist es mein Kind. Es lebt bei
seinen Großeltern, und an Geld wird es ihm auch nicht fehlen,
ich habe ihm alles gut gesichert hinterlassen.«
»Wie heißt es?«
»Aurora.«
»Aurora del Valle… ein hübscher Name. Sieh zu, daß du heil
und ganz aus dem Krieg zurückkommst, Severo, denn wenn wir
heiraten, wird dieses Kind sicherlich unsere erste Tochter sein«,
sagte Nivea und wurde ein bißchen rot. »Was hast du gesagt?«
»Ich habe mein ganzes Leben lang auf dich gewartet, ich kann
auch noch länger warten. Keine Angst, ich habe noch eine
Menge zu tun, bevor ich heirate. Ich arbeite.«
»Du arbeitest? Wozu?« rief Severo empört, denn keine Frau
in seiner Familie oder in irgendeiner anderen, die er kannte,
mußte arbeiten.
»Um zu lernen. Mein Onkel José Francisco hat mich
angestellt, damit ich seine Bibliothek in Ordnung bringe, und hat
mir erlaubt, alles zu lesen, worauf ich Lust habe. Erinnerst du
dich an ihn?«
»Ich kenne ihn kaum, ist das nicht der, der eine reiche Erbin
heiratete und ein Palais in Viña del Mar besitzt?«
»Genau der, er ist ein Verwandter meiner Mutter. Ich kenne
keinen klügeren und gütigeren Mann und keinen besser
aussehenden noch dazu, außer dir natürlich«, sagte sie lachend.
»Mach dich nicht lustig über mich, Nivea.«
»War deine Frau hübsch?« fragte das Mädchen. »Sehr
hübsch.«
»Du mußt über deinen Schmerz hinwegkommen, Severo.
Vielleicht hilft dir der Krieg dabei. Es heißt, sehr schöne Frauen
kann man nicht vergessen, ich hoffe, du lernst ohne sie zu leben,
auch wenn du sie nicht vergißt. Ich werde beten, daß du dich
wieder verliebst, und das doch bitte in mich«, sagte Nivea leise
und nahm seine Hand.
Da spürte Severo einen furchtbaren Schmerz in der Brust, als
hätte eine Lanze sie durchbohrt, er schluchzte auf, und dann
konnte er das Weinen nicht mehr unterdrücken, es schüttelte ihn,
während er immer wieder Lynns Namen hervorstieß, Lynn,
tausendmal Lynn. Nivea zog ihn an sich, umfing ihn mit beiden
Armen und klopfte ihm wie einem Kind tröstend auf den
Rücken.
Der Salpeterkrieg hatte auf dem Meer begonnen und setzte
sich auf dem Festland fort
- Mann gegen Mann mit
Krummessern und aufgepflanztem Bajonett in den ödesten,
rauhesten Wüsten der Welt, den heutigen Nordprovinzen Chiles,
die vor dem Krieg zu Peru und Bolivien gehört hatten. Die
peruanischen und bolivianischen Heere waren für einen Kampf
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