Portrat in Sepia
Andererseits muß
ich zugeben, daß der Gedanke, Sie nie wiederzusehen, mich
gequält hat, seit Sie begonnen haben Ihr Fortgehen zu planen.
Ich habe die Hälfte meines Lebens an Ihrer Seite verbracht, ich
habe mich daran gewöhnt.«
Paulina blieb eine weitere lange Zeitspanne stumm, während
sie im Kopf den seltsamen Ant rag ihres Angestellten hin und her
wendete. So wie er ihn vorgebracht hatte, war es ein gutes
Geschäft mit Vorteilen für sie beide; er würde einen hohen
Lebensstandard genießen können, den er auf andere Weise
niemals erreichen könnte, und sie würde am Arm eines Mannes
gehen, der, recht betrachtet, höchst distinguiert aussah. Er schien
wirklich dem britischen Adel anzugehören. Als sie sich das
Gesicht ihrer Verwandten in Chile und den Neid ihrer
Schwestern vorstellte, mußte sie laut herauslachen.
»Sie sind mindestens zehn Jahre jünger und dreißig Kilo
leichter als ich, haben Sie keine Angst vor der Lächerlichkeit?«
»Ich nicht. Und Sie, Madam, haben Sie keine Angst davor,
mit jemandem meines Standes gesehen zu werden?«
»Ich habe vor nichts in diesem Leben Angs t, und es macht
mir einen Heidenspaß, meinen lieben Nächsten einen Schock zu
versetzen. Wie ist doch gleich Ihr Vorname, Williams?«
»Frederick.«
»Frederick Williams… Ein guter Name, sehr aristokratisch.«
»Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß er das einzig
Aristokratische ist, das ich vorweisen kann, Madam«, sagte
Williams lächelnd.
Und so kam es, daß eine Woche später meine Großmutter
Paulina del Valle, ihr neuer Ehemann, der Friseur, das
Kindermädchen, zwei Dienstmädchen, ein Kammerdiener, ein
Hausdiener und ich mit einer Riesenladung Gepäck per
Eisenbahn nach New York fuhren, wo wir ein britisches Schiff
zu einer Kreuzfahrt nach Europa bestiegen. Wir nahmen auch
Caramelo mit, der sich in der Phase seiner Entwicklung befand,
in der die Hunde alles zu besteigen versuchen, was ihnen in den
Weg kommt, in diesem Fall Paulinas Pelerine aus Fuchsfellen.
Die Pelerine war rundum mit Schwänzen versehen, und
Caramelo, verärgert über die Gleichgültigkeit, mit der diese
seine amourösen Avancen aufnahmen, zerfetzte sie mit den
Zähnen. Die wütende Paulina war drauf und dran, Hund und
Pelerine über Bord zu schmeißen, aber mein empörtes Trampeln
rettete beide. Meine Großmutter bewohnte eine Suite von drei
Kabinen und Frederick Williams eine von der gleichen Größe
auf der anderen Seite des Gangs. Tagsüber unterhielt sie sich
damit, zu jeder Stunde zu essen, sich zu jeder Tätigkeit
umzukleiden, mir Arithmetik beizubringen, damit ich mich in
Zukunft um ihre Rechnungsbücher kümmerte, und mir die
Geschichte ihrer Familie zu erzählen, damit ich wußte, woher
ich kam, wobei sie mich niemals über die Person meines Vaters
aufklärte, als wäre ich im del Valle-Clan durch Spontanzeugung
aufgetaucht. Wenn ich nach meinem Vater oder meiner Mutter
fragte, antwortete sie, die seien gestorben und außerdem sei das
nicht wichtig, es genüge vollauf, eine Großmutter wie sie zu
haben. Inzwischen spielte Frederick Williams Bridge und las
englische Zeitungen wie auch die anderen Herren in der ersten
Klasse. Er hatte sich Koteletten wachsen lassen und einen
üppigen Schnurrbart mit pomadisierten Enden, womit er richtig
bedeutend aussah, und rauchte Pfeife und kubanische Zigarren.
Er gestand meiner Großmutter, er sei ein leidenschaftlicher
Raucher, und das Schwierigste bei seiner Arbeit als Butler sei es
gewesen, es nicht öffentlich zu tun, jetzt könne er endlich seinen
Tabak genießen und die Pfefferminzpastillen in den Abfall
werfen, die er früher en gros kaufte und die ihm den Magen
angefressen hätten. In einer Zeit, da gutgestellte Männer Bauch
und Doppelkinn zur Schau stellten, war Williams’ eher schlanke,
athletische Figur in der guten Gesellschaft fast etwas ungehörig,
aber dafür waren seine makellosen Umgangsformen sehr viel
überzeugender als die meiner Großmutter. Abends, bevor sie
hinunter in den Ballsaal gingen, kamen sie zum Gutenachtsagen
in die Kabine, die ich mir mit dem Kindermädchen teilte. Sie
waren ein prächtiger Anblick, sie von ihrem Friseur gekämmt
und geschminkt, in großer Gala und funkelnd von Juwelen wie
ein fettes Idol, und er als vornehmer Prinzgemahl. Manchmal
stahl ich mich in den Salon und beobachtete sie hingerissen:
Frederick Williams verstand Paulina mit einer Sicherheit über
die Tanzfläche zu manövrieren, als wäre er
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