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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Vergangenheit zu erzählen. Ich denke mir, daß sie
trotz ihrer verächtlichen Haltung gegenüber den Konventionen
ihrer Klasse deren Vorurteile nie überwinden konnte. Um mich
vor Mißachtung zu schützen, war sie sorgfältig bemüht, mein
Viertel chinesisches Blut, die bescheidene gesellschaftliche
Umwelt meiner Mutter und die Tatsache zu verheimlichen, daß
ich ein Bastard bin. Das ist das einzige, was ich dieser Gigantin,
meiner Großmutter, vorwerfen kann.
    In Europa lernte ich Matías Rodríguez de Santa Cruz y del
Valle kennen. Paulina mißachtete die Abmachung, die sie mit
Eliza getroffen hatte, und sagte mir nicht die Wahrheit, und statt
ihn mir als meinen Vater vorzustellen, erklärte sie, dies sei nun
noch ein weiterer Onkel von den vielen, die ein chilenisches
Kind nun mal habe, denn jeder Verwandte oder Freund der
Familie, der alt genug ist, den Titel mit Würde zu tragen, wird
automatisch Onkel oder Tante genannt, weshalb ich auch zu
dem guten Williams immer Onkel Frederick sagte. Daß Matías
mein Vater war, erfuhr ich erst Jahre später, als er zum Sterben
nach Chile zurückkam, und er sagte es mir selbst. Der Mann
hatte mir keinen erinnerungswerten Eindruck gemacht, er war
schlank, blaß und gutaussehend; er wirkte jung, wenn er saß,
aber sehr viel älter, wenn er versuchte, sich zu bewegen. Er ging
am Stock und war immer von einem Diener begleitet, der ihm
die Türen öffnete, ihm in den Mantel half, ihm die Zigaretten
anzündete, ihm das Glas mit Wasser reichte, das immer auf
einem Tisch neben ihm stand, denn die Anstrengung, den Arm
auszustrecken, war zuviel für ihn. Großmutter Paulina erklärte
mir, dieser Onkel leide an Arthritis, einer sehr schmerzhaften
Krankheit, die ihn zerbrechlich wie Glas mache, deshalb dürfe
ich mich ihm nur sehr behutsam nähern. Meine Großmutter
sollte Jahre später sterben, ohne erfahren zu haben, daß ihr
Ältester nicht an Arthritis, sondern an Syphilis litt. Die
Überraschung der Familie del Valle bei Paulinas Ankunft in
Santiago war beträchtlich. Von Buenos Aires aus durchquerten
wir Argentinien bis nach Chile auf dem Landwege, eine wahre
Safari, wenn man zum Umfang des Gepäcks, das aus Europa
mitgekommen war, die elf Koffer mit den in Buenos Aires
getätigten Einkäufen hinzuzählt. Die Fracht wurde von einem
Zug Maultiere befördert, wir selbst reisten in Kutschen, begleitet
von bewaffneten Wachen unter dem Befehl von Onkel
Frederick, denn es gab Banden auf beiden Seiten der Grenze,
aber leider griffen sie uns nicht an, und wir gelangten nach
Chile, ohne etwas Interessantes von unserem Übergang über die
Anden erzählen zu können. Unterwegs hatten wir das
Kindermädchen verloren, das sich in einen Argentinier verliebte
und dortbleiben wollte, und ein Dienstmädchen, das an Typhus
erkrankte, aber Onkel Frederick regelte das, indem er auf jeder
Etappe unserer Wanderfahrt Hilfskräfte anstellte. Paulina hatte
beschlossen, sich in Santiago, der Hauptstadt, niederzulassen,
denn nachdem sie so viele Jahre in den Vereinigten Staaten
gelebt hatte, glaubte sie, die kleine Hafenstadt Valparaiso, wo
sie geboren war, würde ihr winzig vorkommen. Außerdem hatte
sie sich daran gewöhnt, fern von ihrem Clan zu leben, und ihr
grauste bei der Vorstellung, ihre Verwandten tagtäglich zu sehen
nach dem fürchterlichen Brauch jeder leidgewohnten
chilenischen Familie. Allerdings war sie auch in Santiago nicht
von ihnen befreit, denn sie hatte mehrere Schwestern dort, die
mit »besseren Leuten« verheiratet waren, wie die Angehörigen
der Oberklasse sich untereinander nannten, was vermutlich
bedeutet, daß der Rest der Welt der Kategorie »schlechtere
Leute« zuzuordnen ist. Ihr Neffe Severo, der ebenfalls in der
Hauptstadt lebte, kam mit seiner Frau, uns zu begrüßen, als wir
eben angekommen waren. Von meinem ersten Zusammentreffen
mit ihnen bewahre ich eine klarere Erinnerung als an meinen
Vater, denn sie empfingen mich mit so übertriebenen Beweisen
der Zuneigung, daß ich erschrak. Das Bemerkenswerteste an
Severo war, daß er, obwohl er hinkte und am Stock ging, aussah
wie ein Prinz aus dem Märchenbuch - ich habe selten einen
hübscheren Mann gesehen -, und an Nivea, daß sie einen großen
runden Bauch vor sich hertrug. Zu jener Zeit galten die
genaueren Umstände der Fortpflanzung als etwas
Unanständiges, und die schwangeren Frauen aus dem
Bürgerstand und schon gar die des Adels blieben brav zu Hause,
aber Nivea

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