Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
es gewohnt, schwere
Ballen zu verladen.
    Ein Jahr später langten wir in Chile an, als die ins Taumeln
geratene Glücksgöttin meiner Großmutter wieder auf die Füße
gekommen war dank der Spekulation mit Zucker, auf die
Paulina sich während des Salpeterkriegs eingelassen hatte. Ihre
Theorie erwies sich als richtig: in schlechten Zeiten essen die
Leute mehr Süßes. Unsere Ankunft traf zusammen mit einer
Theateraufführung, in der die unvergleichliche Sarah Bernhardt
ihre Lieblingsrolle spielte: Die Kameliendame. Die berühmte
Schauspielerin konnte das Publikum nicht so rühren, wie sie es
im übrigen zivilisierten Universum vermocht hatte, die bigotte
chilenische Gesellschaft brachte der schwindsüchtigen Kurtisane
keine Sympathie entgegen, alle fanden es ganz normal, daß sie
sich für den Geliebten opferte, sie sahen keinen Grund für soviel
Drama und soviel verwelkte Kamelie. Die weltgereiste
Künstlerin fuhr wieder ab in der Überzeugung, ein Land von
gewaltigen Dummköpfen besucht zu haben, eine Meinung, die
Paulina vollauf teilte. Meine Großmutter war mit ihrem Gefolge
durch mehrere Städte Europas spaziert, aber ihren Traum,
Ägypten zu besuchen, machte sie doch nicht wahr, denn sie
nahm an, dort würde es kein Kamel geben, das imstande wäre,
ihr Gewicht zu tragen, und sie würde die Pyramiden unter einer
glutheißen Sonne zu Fuß besichtigen müssen. 1886 war ich
schon sechs Jahre alt, sprach eine Mischung aus Chinesisch,
Englisch und Spanisch, beherrschte aber die vier
Grundrechenarten und konnte mit unglaublicher
Geschicklichkeit französische Francs in Pfund Sterling
umwandeln und die wiederum in deutsche Reichsmark oder
italienische Lire. Ich hatte aufgehört, alle Augenblicke um
meinen Großvater Tao und meine Großmutter Eliza zu weinen,
aber die unerklärlichen Albträume quälten mich weiterhin
regelmäßig. In meinem Gedächtnis war da ein schwarzes Loch,
etwas immer Gegenwärtiges und Gefährliches, das ich nicht zu
präzisieren vermochte, etwas Unbekanntes, das mich
terrorisierte, vor allem im Dunkeln oder in einer
Menschenmenge. Ich konnte es nicht vertragen, mich von
Menschen umgeben zu sehen, ich fing an zu schreien wie
besessen, und Großmutter Paulina mußte mich in ihre
Bärenarme einhüllen, um mich zu beruhigen. Ich hatte mich
daran gewöhnt, mich in ihr Bett zu flüchten, wenn ich
verängstigt aufwachte, damit war zwischen uns eine
Vertraulichkeit gewachsen, die mich, da bin ich ganz sicher, vor
dem Wahnsinn und dem Horror rettete, in die ich sonst gestürzt
wäre. Weil Paulina mich so oft trösten und beruhigen mußte,
änderte sie sich auf eine für alle außer für Frederick Williams
unmerkliche Weise. Sie wurde duldsamer und zärtlicher und
verlor sogar ein wenig Gewicht, weil sie ständig hinter mir
herlief und so beschäftigt war, daß sie ihre Näschereien vergaß.
Ich glaube, sie betete mich an. Ich sage das ohne falsche
Bescheidenheit, denn sie bewies es mir ständig, half mir, in aller
zu jener Zeit möglichen Freiheit aufzuwachsen, spornte meine
Neugier an und zeigte mir die Welt. Sie gestattete mir keine
Sentimentalitäten und keine Wehleidigkeit, »man darf nicht
zurückblicken«, war einer ihrer Sprüche. Sie machte Witze über
mich, manchmal recht plumpe, bis ich gelernt hatte, es ihr in
gleicher Münze heimzuzahlen das bezeichnet den Ton, der
zwischen uns herrschte. Einmal fand ich im Patio eine
Mauereidechse, die von einem Kutschenrad plattgewalzt worden
war, mehrere Tage in der Sonne gelegen hatte und schon zum
Fossil geworden war. Ich hob sie auf und behielt sie, ohne recht
zu wissen warum, bis ich eine großartige Verwendung für sie
ausgeheckt hatte. Ich saß am Schreibtisch und machte meine
Mathematikaufgaben, und meine Großmutter war eben etwas
zerstreut eingetreten, als ich einen plötzlichen Hustenanfall
vortäuschte, worauf sie herankam und mir auf den Rücken
klopfte. Ich beugte mich ganz weit vor, das Gesicht zwischen
den Händen, und zum Entsetzen der armen Frau »spie« ich die
Eidechse aus, die auf meinem Schoß landete. Als meine
Großmutter das Viech sah, das scheinbar meine Lunge
abgesondert hatte, war sie so erschrocken, daß sie sich platt auf
den Fußboden setzte, aber dann lachte sie ebensosehr wie ich
und bewahrte das Tierchen zum Andenken getrocknet zwischen
den Seiten eines Buches auf. Es ist schwer zu verstehen,
weshalb diese starke Frau sich davor fürchtete, mir die Wahrheit
über meine

Weitere Kostenlose Bücher