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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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dachte nicht daran, ihren Zustand zu verbergen, sie
stellte ihn zur Schau, gleichgültig gegen die Aufregung, die sie
verursachte. Auf der Straße blickten die Leute weg, als wäre sie
mißgebildet oder ginge nackt. Ich hatte so etwas noch nie
gesehen, und ich fragte, was dieser Señora passiert sei, und
Großmutter Paulina erklärte mir, die Arme habe eine Melone
verschluckt. Im Gegensatz zu ihrem stattlichen Mann glich
Nivea einer Maus, aber man brauchte nur zwei Minuten mit ihr
zu sprechen, und schon war man gefangen von ihrem Zauber
und ihrer unerhörten Energie.
    Santiago war eine schöne Stadt in einem fruchtbaren Tal,
umgeben von hohen, im Sommer dunkelvioletten und im Winter
schneebedeckten Bergen, es war eine ruhige, schläfrige Stadt,
die nach blühenden Gärten und nach Pferdeäpfeln roch. Sie
hatte etwas Französisches mit ihren alten Bäumen, ihren
Plätzen, den maurischen Brunnen, den Portalen und Passagen,
den eleganten Frauen, den erstklassigen Geschäften, in denen
das Feinste aus Europa und dem Orient angeboten wurde, den
Alleen und Promenaden, wo die Reichen ihre Kutschen und
herrlichen Pferde vorführten. In den Straßen priesen Händler
ihre bescheidenen Waren an, die sie in Körben mit sich trugen,
liefen streunende Hunde herum, und auf den Dächern nisteten
Tauben und Spatzen. Die Kirchenglocken schlugen die Stunden,
außer während der Siesta, wenn die Straßen leer waren und die
Menschen ruhten. Es war eine herrschaftliche Stadt, sehr
verschieden von San Francisco mit seinem unverwechselbaren
Stempel einer Grenzstadt und seinem kosmopolitischen und
farbigen Aussehen. Paulina kaufte ein großes Haus in der
Ejército Libertador, der aristokratischsten Straße nahe der
Alameda de las Delicias, durch die jedes Frühjahr - Pferde mit
Federbüschen, Ehrengarde - die Kutsche des Präsidenten der
Republik fuhr zur Parade anläßlich der vaterländischen Feiern
auf dem Marsfeld. Das Haus konnte sich an Pracht nicht mit
dem Palais in San Francisco messen, aber für Santiago war es
von erbitternder Üppigkeit. Dennoch war es nicht die Entfaltung
von Wohlleben und der Mangel an Takt, der die kleine
hauptstädtische Gesellschaft fassungslos machte, sondern der
Gatte mit Ahnentafel, den Paulina »sich gekauft hatte«, wie sie
sagten, und die Klatschgeschichten über das riesige vergoldete
Bett mit mythologischen Meereswesen, wer weiß, was für
Sünden dieses alte Paar beging. Williams schrieben sie
Adelstitel und üble Absichten zu. Welchen Grund konnte ein
britischer Lord wohl haben, der so fein und hübsch aussah, daß
er eine Frau mit bekannt schlechtem Charakter he iratete, die
noch dazu wesentlich älter war als er? Er konnte nur ein
heruntergekommener Earl sein, ein Glücksritter, der ihr alles
Geld abnehmen und sie dann sitzenlassen würde. Im Grunde
wünschten alle, daß es so kommen möge, um meine arrogante
Großmutter gedemütigt zu sehen, jedoch getreu der chilenischen
Tradition der Gastfreundschaft gegenüber Fremden war keiner
unhöflich zu ihrem Mann. Zumal Frederick Williams bei aller
Welt Achtung gewann durch seine vorzüglichen Manieren, seine
nüchterne Art, das Leben zu sehen, und seine monarchistischen
Vorstellungen, denn er glaubte, daß alle Übel der Gesellschaft
von der Disziplinlosigkeit und dem Mangel an Respekt
gegenüber den Rangordnungen herrührten. Sein Wahlspruch,
nach dem er in all den Jahren als Diener gearbeitet hatte, war
»Jeder an seinem Platz, und ein Platz für jeden«. Als er sich in
den Ehemann meiner Großmutter verwandelte, übernahm er
seine Rolle als Angehöriger der Oberschicht mit derselben
Natürlichkeit, mit der er vorher sein Los als Diener getragen
hatte; früher hatte er nie versucht, sich unter die von oben zu
mischen, und nun hatte er keinen Umgang mit denen von unten;
die Trennung der Klassen erschien ihm unumgänglich, um
Chaos und Vulgarität zu vermeiden. In der Familie
leidenschaftlicher Barbaren, wie die del Valles es waren, erregte
Williams Verblüffung und Bewunderung mit seiner
übermäßigen Höflichkeit und seiner gleichmütigen Ruhe,
Ergebnisse seiner Butlerjahre. Er sprach nicht sehr gut Spanisch,
und sein bisweilen erzwungenes Schweigen wurde mit Weisheit,
Stolz und Geheimnis verwechselt. Der einzige, der den
vermeintlichen britischen Edelmann hätte demaskieren können,
war Severo, aber er hat es niemals getan, denn er schätzte den
alten Diener und bewunderte diese Tante, die mit

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