Portrat in Sepia
aufziehen würde. Severo verstand ihre Gründe und
akzeptierte sie, denn er hatte bereits zwei Kinder, und seine Frau
erwartete das dritte, aber er weigerte sich, ihr die gesetzliche
Vormundschaft zu übertragen, wie sie verlangte. Paulinas
Anwälte waren ihr behilflich, ihre Finanzen zu ordnen und das
Palais zu verkaufen, während ihr Butler Williams sich um die
praktischen Seiten kümmerte: die Übersiedlung der Familie in
den Süden der Welt zu organisieren und alle Besitztümer seiner
Herrin zu verpacken, denn sie wollte nichts verkaufen, damit die
bösen Zungen nicht behaupteten, sie wäre dazu genötigt. Dem
Programm gemäß würde Paulina mit mir, dem englischen
Kindermädchen und anderen zuverlässigen Angestellten eine
Kreuzfahrt unternehmen, wogegen Williams das Gepäck nach
Chile schicken und dann ein freier Mann sein würde, nachdem
er eine üppige Gratifikation in Pfund Sterling empfangen hätte.
Das würde seine letzte Tätigkeit im Dienste seiner Herrin sein.
Eine Woche vor Paulinas Abreise bat der Butler um Erlaubnis,
sie privat zu sprechen. »Verzeihen Sie, Madam, darf ich fragen,
wodurch ich in Ihrer Achtung gefallen bin?«
»Wovon reden Sie, Williams! Sie wissen, wie sehr ich Sie
schätze und wie dankbar ich für Ihre Dienste bin.«
»Trotzdem wollen Sie mich nicht mit nach Chile nehmen…«
»Mann, um Himmelswillen! Der Gedanke ist mir gar nicht
erst gekommen. Was sollte ich mit einem britischen Butler in
Chile? Niemand dort hat einen. Man würde sich über Sie und
über mich totlachen. Haben Sie mal auf eine Landkarte
gesehen? Dieses Land ist sehr weit entfernt von hier, und
niemand spricht Englisch, das Leben dort würde für Sie sehr
wenig erfreulich sein. Ich habe nicht das Recht, Sie um ein
solches Opfer zu bitten, Williams.«
»Wenn Sie gestatten, Madam, mich von Ihnen zu trennen
wäre ein sehr viel größeres Opfer.« Paulina del Valle starrte
ihren Angestellten an, die Augen ganz rund. Zum erstenmal
wurde ihr bewußt, daß Williams etwas mehr war als ein
Automat im schwarzen Schwalbenschwanzjackett und weißen
Handschuhen. Sie sah einen Mann von etwa fünfzig Jahren mit
breiten Schultern und angenehmem Gesicht, reichlich
graumeliertem Haar und durchdringenden Augen; er hatte die
Hände eines Stauers und von Nikotin gelblich verfärbte Zähne,
obwohl sie noch nie gesehen hatte, daß er rauchte oder Tabak
ausspuckte. So standen sie eine endlose Weile schweigend da,
sie musterte ihn, und er hielt ihrem Blick stand ohne Zeichen
von Verlegenheit.
»Madam, ich konnte nicht umhin, die Schwierigkeiten zu
bemerken, die die Witwenschaft Ihnen gebracht hat«, sagte
Williams endlich in der ihm eigene n gedrechselten Redeweise.
»Sie scherzen wohl?« sagte Paulina lächelnd. »Nichts läge
meiner Gemütsstimmung ferner, Madam.«
Sie konnte sich nur räuspern in der langen Pause, die auf diese
Antwort ihres Butlers folgte.
»Sie werden sich fragen, worauf das alles hinausläuft«, fuhr er
fort.
»Sagen wir, es ist Ihnen gelungen, mich neugierig zu machen,
Williams.«
»Mir kam in den Sinn, da ich nicht als Ihr Butler nach Chile
gehen kann, wäre es vielleicht keine schlechte Idee, wenn ich es
als Ihr Ehemann täte.« Paulina glaubte, der Boden habe sich
unter ihr geöffnet und sie sause mit Sessel und allem bis zum
Mittelpunkt der Erde. Ihr erster Gedanke war, dem Mann habe
sich im Gehirn eine Schraube gelockert, anders sei das nicht zu
erklären, aber als sie ihren Butler so würdevoll und ruhig stehen
sah, schluckte sie die Beleidigungen herunter, die ihr schon auf
der Zunge lagen.
»Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Gesichtspunkt darzulegen,
Madam«, fügte Williams hinzu. »Ich erhebe selbstverständlich
nicht den Anspruch, die Funktion eines Gatten im
gefühlsbestimmten Sinne auszuüben. Ich trachte auch nicht nach
Ihrem Vermögen, das vor mir völlig sicher sein würde, dafür
würden Sie die erforderlichen rechtlichen Mittel ergreifen.
Meine Rolle neben Ihnen wäre praktisch die gleiche wie heute:
Ihnen in allem, was mir irgend möglich ist, zu helfen, und das
mit der äußersten Diskretion. Ich nehme an, daß in Chile genau
wie in der übrigen Welt eine alleinstehende Frau sich vielen
Unannehmlichkeiten gegenübersieht. Für mich wäre es eine
Ehre, jederzeit für Sie einzutreten.«
»Und was gewinnen Sie bei dieser kuriosen Vereinbarung?«
fragte Paulina, ohne den bissigen Ton unterdrücken zu können.
»Einesteils würde ich Respekt gewinnen.
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