Portrat in Sepia
Beitragsgebühren
forderten im Tausch gegen Schutz, Arbeitsvermittlung und das
Versprechen, die Leichname ihrer Mitglieder nach China zu
überführen, wenn sie auf amerikanischem Boden gestorben
waren. Der Mann hatte mich häufig an der Hand meines
Großvaters gesehen und gehörte durch einen glücklichen Zufall
demselben Tong an wie Tao Chi’en. Er war es gewesen, der
meinen Onkel gerufen hatte. Luckys erster Impuls war, mich mit
nach Hause zu nehmen, damit seine junge Frau, die er kürzlich
über Katalog in China in Auftrag gegeben und bekommen hatte,
sich meiner annahm, aber dann wurde ihm klar, daß er die
Anweisungen seiner Eltern zu respektieren hatte. Nachdem
Eliza mich in Paulinas Hände gegeben hatte, war sie mit dem
Leichnam ihres Mannes abgereist, um ihn in Hongkong
beizusetzen. Sie ebensowohl wie Tao Chi’en waren immer der
Meinung gewesen, das chinesische Viertel von San Francisco
sei eine zu kleine Welt für mich, sie wünschten, ich würde zu
den Vereinigten Staaten gehören. Wenn Lucky auch mit diesem
Gedanken nicht einverstanden war, mußte er doch dem Willen
seiner Eltern gehorchen, deshalb bezahlte er meinen Entführern
die vereinbarte Summe und brachte mich zurück in das Haus
Paulina del Valles. Ich sollte ihn erst zwanzig Jahre später
wiedersehen, als ich mich aufmachte, ihn zu suchen, um die
letzten Einzelheiten meiner Geschichte zu ergründen.
Die stolze Familie meiner Großeltern väterlicherseits lebte
sechsunddreißig Jahre in San Francisco, ohne viel Spuren zu
hinterlassen. Ich habe mich bemüht, ihre Fährte zu finden. Das
Palais auf dem Nob Hill ist heute ein Hotel, und niemand
erinnert sich an die vorherigen Besitzer. Ich habe in der
Bibliothek alte Zeitungen durchgesehen und entdeckte
zahlreiche Erwähnungen der Familie auf den
Gesellschaftsseiten, auch die Geschichte der Statue der Republik
und den Namen meiner Mutter. Es gibt auch eine kurze Notiz
über den Tod meines Großvaters Tao Chi’en, einen sehr
rühmenden Nachruf, geschrieben von Jacob Freemont, und eine
Kondolenzanzeige der Medizinischen Gesellschaft, in der dem zhong yi Tao Chi’en gedankt wird für die Beiträge, die er der
westlichen Medizin geliefert hat. Das ist eine Rarität, denn die
chinesische Bevölkerung war damals fast unsichtbar, wurde
geboren, lebte und starb am Rande des amerikanischen
Geschehens, aber der Ruf Tao Chi’ens reichte weit über die
Grenzen Chinatowns und Kaliforniens hinaus, war sogar in
England bekannt, wo er mehrere Vorlesungen über Akupunktur
gehalten hatte. Ohne diese gedruckten Zeugnisse wären viele der
Protagonisten dieser Geschichte wie verschwunden,
weggeblasen vom Wind des schlecht en Gedächtnisses.
Mein Abenteuer in Chinatown war einer von mehreren
Gründen, die Paulina del Valle veranlaßten, nach Chile
zurückzukehren. Sie hatte begriffen, daß kein noch so
prunkvolles Fest oder andere Gelegenheiten zur
Prachtentfaltung imstande waren, ihr die gesellschaftliche
Stellung wiederzugeben, die sie innegehabt hatte, als ihr Mann
noch lebte. Sie würde ganz allein alt werden, fern von ihren
Söhnen, ihren Verwandten, ihrer Sprache und ihrem Land. Das
Geld, das ihr geblieben war, würde nicht aus reichen, den
gewohnten Lebensstil in ihrem Palais mit den fünfundvierzig
Zimmern aufrechtzuerhalten, aber in Chile war es ein riesiges
Vermögen, wo alles sehr viel billiger war. Außerdem war ihr
eine seltsame Enkelin in den Schoß gefallen, die sie völlig von
ihrer chinesischen Vergangenheit loslösen mußte, wenn sie aus
ihr eine chilenische junge Dame machen wollte. Paulina konnte
den Gedanken nicht ertragen, daß ich womöglich wieder
ausreißen würde, und stellte ein englisches Kindermädchen ein,
das mich Tag und Nacht bewachen mußte. Sie ließ ihre Pläne
einer Reise nach Ägypten fallen und sagte die Neujahrsbankette
ab, beschleunigte aber die Anfertigung ihrer neuen Garderobe
und ging dann methodisch daran, ihr Geld zwischen den
Vereinigten Staaten und England aufzuteilen, während sie nach
Chile nur soviel schickte, wie sie unbedingt brauchte, um sich
niederzulassen, weil die politische Situation dort ihr recht
unsicher vorkam. Sie schrieb einen langen Brief an ihren Neffen
Severo, um sich mit ihm zu versöhnen, erzählte ihm, was Tao
Chi’en zugestoßen war und daß Eliza Sommers sich
entschlossen habe, ihr das Kind zu übergeben, und erklärte ihm
genauestens, welche Vorteile darin lagen, daß sie es war, die die
Kleine
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