Poseidon - Der Tod ist Cool
Beinen hinab. Sie wusste nicht, ob es sich um Fruchtwasser handelte. Sie hoffte es. Wollte es mit ihrem Glauben erzwingen.
Ihre Gedanken rasten auf dem Pfad des Entsetzens dahin - die Kinder könnten nicht gesund sein, könnten bei der Geburt sterben.
Sie könnte sterben.
Das Ticken des Weckers drang an ihr Ohr.
Tot.
Nicht tot.
Tot.
Nicht tot.
Tot.
Der Schrei der nächsten Wehe ließ ihn verstummen - es war nicht ihr Schrei. Das Kreischen erschütterte den Raum, die Wände warfen es hundertfach zurück. Es fegte durch sie, riss alle Zweifel mit sich und erfüllte sie mit Ruhe.
Für einen winzigen Augenblick.
Dann spürte sie erneut den eisigen Schlag der Angst, der sie in ihre Hölle hinab stieß. Mit weit aufgerissenen Augen lag sie da. Ihre mit Speichel verklebten Lippen öffneten und schlossen sich. Worte krochen aus ihrer Kehle.
„ ... du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus...“
Das Abendrot tauchte sie in Blut - eine Göttin in Seide gehüllt. Eine Göttin, die Göttliches vollbrachte und Zwillinge gebar.
15. Kapitel
Buchrücken reihte sich an Buchrücken . Reiters Büro bestand förmlich daraus. Es mussten an die Tausend sein. Frenzel hatte Schwierigkeiten, die Titel zu entziffern. Eine Auffrischung seiner Englischkenntnisse täte not. Trotzdem erkannte er, dass sich ein größerer Teil mit dem Thema Wasser beschäftigte. Erinnerungsfetzen seiner Schulzeit blitzten auf.
Chemieunterricht bei Herrn Lange – ein netter, verkrampfter Lehrer Ende Dreißig , der ihn in der Kollegstufe durch den Leistungskurs begleitete. Trotz Sport und gesunder Ernährung raffte ihn der Krebs innerhalb weniger Monate dahin. Er hinterließ Frau und Kinder.
Für einen kurzen Moment war Frenzel froh, keine eigene Familie zu haben.
Die Anomalie des Wassers - er konnte sich daran erinnern, dass es bei vier Grad Celsius seine größte Dichte hatte, weshalb die Seen und Flüsse nicht bis zum Grund zufroren. Damit erschöpfte sich sein Fundus an Restwissen. Mit Reiter – dessen war er sich sicher – stand ein Fachmann an seiner Seite. Womöglich war seine Theorie doch nicht so weit hergeholt. Reiter musste ihm die richtigen Antworten geben. Frenzel sah Licht am Ende des Tunnels, Zuversicht breitete sich in ihm aus.
Er wandte sich an ihn.
„Ich glaube, dass die Todesfälle mit Wasser in Verbindung gebracht werden könnten. Es kann frieren und kochen. Kofen ist erfroren, Trautmann – das zweite Opfer – weist Symptome von Verbrennungen auf. Kochendes Wasser ruft Verbrennungen hervor. Der Mensch besteht zu fünfundsiebzig Prozent aus Wasser. Aber wie sollte so etwas möglich sein?“ Frenzel sah Reiter erwartungsvoll an. „Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Ich dachte, Sie als Biochemiker könnten mir dazu vielleicht Genaueres sagen. Wie ich sehe, besitzen Sie einiges an Fachliteratur zum Thema Wasser.“ Frenzel deutete mit einer Hand in Richtung der Regalwände.
Reiter erwiderte kein Wort. Die Sekunden verstrichen. Er zündete sich eine weitere Zigarette an, beobachtete den aufsteigenden Rauch. Er setzte sich auf seinen Schreibtisch und drehte den Glimmstängel gedankenverloren zwischen seinen Fingern. Frenzel bemerkte, dass sie zitterten.
Wie das Auge. Es tränte ohne Unterlass.
Reiter kramte ein Taschentuch aus seinem Labormantel und tupfte es ab. Ein sinnloses Unterfangen.
Dann lieber nur eines, das funktioniert, schoss es Frenzel durch den Kopf.
„Ein interessanter Ansatz.“ Reiter räusperte sich. „In vielerlei Hinsicht.“ Seine Stimme hatte sich verändert – sie klang aufgewühlt.
„Wasser ist ein außergewöhnliches Element. Viele Geschichten und Legenden ranken sich darum. Es besitzt nicht nur im chemischen, sondern auch im spirituellen Sinne eine Ausnahmestellung. Es gibt Naturvölker, die es als eigenständigen Organismus sehen. Doch zurück zu Ihrer Theorie. Wenn ich Sie richtig verstehe, gehen Sie davon aus, dass die Veränderung des Aggregatzustandes der Wasseranteile im Blut die Todesfälle verursacht haben könnte?“
Reiter erwartete keine Antwort auf die Frage und fuhr augenblicklich mit seinen Ausführungen fort.
Frenzel schluckte sein
Ja
herunter.
„Das impliziert die Möglichkeit, Wasser als Medium zur Speicherung von Informationen zu nutzen und diese zu genau definierten Parametern abzurufen.“
Reiters naturwissenschaftlicher Motor kam auf Touren. Frenzel hörte gespannt zu.
„Können Sie mir folgen?“ Reiter
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