Poseidons Gold
von ›Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft‹. Alle fünf Minuten muß ich ihn durch ein Bordell führen oder mit einem professionellen Falschspieler bekannt machen. Ich war gerade wegen eines anderen Falles bei ihm, als man mich ins Flora rief. Und mit eigenen Augen eine echte Leiche zu sehen, war für den Richter der Höhepunkt des Jahres. Zumindest«, setzte er einschränkend hinzu, »bis zu dem Moment, wo er tatsächlich vor der Sauerei stand.«
»Verstehe.« Offenbar war dies ein ungewöhnlich brutaler Mord, der den empfindsamen Nerven eines Richters über Gebühr zusetzte. »Nachdem er das viele Blut gesehen und sein Frühstück auf der Schwelle zum Tatort von sich gegeben hat, fühlt Marponius sich wohl persönlich für diese verdammte Untersuchung verantwortlich. Erzähl mir lieber die ganze Wahrheit. Wahrscheinlich konnte das Gesindel im Flora, das normalerweise nicht mal seinen eigenen Läusen guten Tag sagt, es kaum erwarten, mit dem großen Mann zu sprechen, oder?«
»Genau. Es dauerte etwa drei Sekunden, bis dein Name fiel. Wir hatten uns noch nicht mal einen Weg durch die Menge gebahnt, und ich versuchte immer noch, nach oben zu kommen, um die Leiche in Augenschein zu nehmen, da standen die Zeugen schon Schlange.«
»Das sieht böse aus.«
»Allerdings, Falco!«
Ich wußte, daß Marponius einer jener ungeduldigen Richter war, die am liebsten den erstbesten Verdächtigen als Täter verurteilen. War ja auch viel angenehmer, als sich das Leben unnötig schwerzumachen und andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wahrscheinlich stellte er jetzt schon die Geschworenenliste für meinen Prozeß in der Basilica zusammen. Vorausgesetzt, daß ich seiner Meinung nach eine Verhandlung in der Basilica verdiente.
»Also, wie sieht’s aus, Petro? Ich werde gesucht, klar. Marponius glaubt, daß du mich suchst. Hast du mich nun gefunden, oder läßt du mir noch etwas Spielraum, damit ich selbst den Täter suchen kann?«
Petronius maß mich mit dem abgrundtief ehrlichen Blick, den er normalerweise für das weibliche Geschlecht reservierte. Er hatte also überhaupt nicht vor, ehrlich zu sein. »Marponius will den Fall rasch gelöst haben. Ich hab ihm gesagt, daß ich dich in deiner Wohnung nicht finden konnte. Daß ich dich eventuell später hier treffen würde, hab ich vielleicht vergessen zu erwähnen.«
»Wieviel, damit du auch weiterhin vergeßlich bleibst?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du es schaffst, mich zu überreden!« Petronius war alles andere als korrupt. Er vertrat nur die Ansicht, daß jede Vergünstigung irgendwann eine Gegenleistung verdient.
»Danke.«
»Aber du mußt dich dranhalten. Ich kann dieses Spiel nicht ewig treiben.«
»Wie lange?«
»Einen Tag kann ich den Richter wohl noch hinhalten.« Diesen einen Tag würde ich mit etwas Glück auf drei steigern können. Schließlich waren wir sehr gute Freunde. Außerdem hatte Petro einen viel zu heftigen Haß auf Marponius, als daß er sich groß um dessen Wünsche geschert hätte. Wachhauptleute werden von der Bevölkerung gewählt. Petronius verdankte seine Autorität also dem Plebiszit und keinem aufgeblasenen Richter.
Andererseits hing er an seinem Posten, genoß den Status, den der ihm verschaffte, und war, weil er eine muntere Frau und drei Töchter ernähren mußte, auf seinen Sold angewiesen. Einen Richter gegen sich aufzubringen wäre also keine gute Idee. Nicht einmal ich durfte das von ihm erwarten. Wenn es wirklich hart auf hart käme, würde ich ihn auch gar nicht um Schützenhilfe bitten.
Petronius mußte kurz verschwinden; Probleme schlugen ihm immer auf die Blase. Während er draußen war, entdeckte ich sein Notizbuch neben seinem Mantel auf dem Tisch. Wie alles, was Petronius gehörte, war es solide und strapazierfähig: vier oder fünf wiederverwertbare Wachstäfelchen, zusammengehalten von über Kreuz gebundenen Lederschnüren, vorn und hinten durch zwei Holzscheiben geschützt. Ich hatte oft zugesehen, wie Petro diesen Block zückte, aufschlug und Informationen über einen armen Verdächtigen hineinkritzelte, häufig noch während er sich mit ihm unterhielt. Die Täfelchen hatten die Patina des häufig Benutzten, und das gab ihnen etwas Solides, Verläßliches. Wenn Petro vor Gericht aus dieser seiner Gedächtnisstütze vorlas, hatte er damit schon so manche Verurteilung besiegelt. Nie hätte ich erwartet, daß ich selbst einmal dort in der Liste der verkommenen Subjekte auftauchen würde. Daß ich
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