Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
sowie Jeremias mit einem Mädchen saßen um das Feuer, tranken Bier, quatschten, rauchten, und einerspielte Gitarre. Das war immer schon so gewesen, dachte Stifter wehmütig und erinnerte sich an seine Jugend. Daran ändern auch die virtuellen Verlockungen nichts. An einem Sommerabend mit Freunden um ein Feuer sitzen, da ging nichts drüber. Als wären wir noch immer Höhlenmenschen.
Zwei der Figuren lösten sich aus der Gruppe, standen auf und kamen zu ihm herübergeschlendert. Einer der beiden war Noah, und er streckte Stifter eine Flasche Bier entgegen.
Stifter winkte ab. »Danke, ich hab noch.«
Noah und sein Freund, den Stifter in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, ließen sich trotzdem neben Stifters Liegestuhl ins Gras sinken, als habe sie die fünf Meter Wegstrecke, die sie vom Feuer zu ihm zurückgelegt hatten, völlig erschöpft. In aller Ruhe steckten sich die beiden eine Kippe an, bevor sie damit rausrückten, was sie von Stifter wollten.
»Mein Kumpel hier spielt Sax«, hub Noah mit schwerem Zungenschlag an, und der »Kumpel hier« ließ seinen Kopf zur Bestätigung sanft auf- und abschwingen. Stifter vermutete, dass die beiden Halbwüchsigen mindestens ein Bier mehr getrunken hatten, als gut für sie war.
Stifter wartete ab, aber weil Noah nichts weiter sagte und auch der Freund nicht, fühlte er sich bemüßigt, auch etwas zur zähen Unterhaltung beizutragen. »Prima«, sagte er.
»Mmh«, machte der Kumpel.
Das Gespräch wollte nicht recht in Gang kommen, Noah zog an seiner Kippe und nahm einen Schluck Helles, sein Freund tat es ihm nach, und so trank auch Stifter aus Solidarität aus seiner Flasche.
»Ich hab ihm erzählt, dass du scheißviele Charlie-Parker-Platten hast, Alter.« Noah schwenkte seine Bierflasche in Stifters Richtung.
»So geil, ey«, murmelte der Kumpel und schwang noch ein bisschen heftiger seinen Kopf.
»Ah. Du magst Charlie Parker?«, erkundigte sich Stifter freundlich.
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Noch nie gehört.«
Daraufhin brachen die beiden Halbwüchsigen in einen hysterischen Lachanfall aus. Stifter war klar, dass er den schweren, süßlichen Geruch, der vorhin vom Lagerfeuer zu ihm herübergeweht war, richtig eingeordnet hatte. Die Buben hatten nicht nur Zigaretten geraucht. Was ihn allerdings mehr befremdete, war die Tatsache, dass ein junger Mann anfing, Saxophon zu spielen und Charlie Parker nicht kannte. Zu seiner Zeit hatte man mit dem Instrument angefangen wegen Charlie Parker.
»Wie heißt du?«, fragte er den Jungen, kaum dass die beiden sich wieder eingekriegt hatten.
»Lukas«, antwortete Noah für seinen Freund.
»Also Lukas«, setzte Stifter an und spürte, wie er ins altväterliche Fahrwasser geriet. »Warum spielst du Saxophon? Warum hast du dir ausgerechnet dieses Instrument ausgesucht?«
Jetzt hob Lukas zum ersten Mal den Kopf und sah Stifter direkt an. Der erkannte in ihm den jungen Mann, dem er heute Vormittag in der Wettersteinstraße begegnet war. Er hatte Annette von Rechlin ein Fahrrad gebracht.
Lukas zuckte mit den Schultern und warf Noah einen kurzen, hilflosen Blick zu. »Keine Ahnung.«
»Keine Ahnung?« Stifter war ein bisschen fassungslos. »Oder wollten deine Eltern das?«
Erneutes Schulterzucken. »Weiß nicht. Meiner Mom ist es, glaub ich, egal.« Stifter versuchte, den Blick des Jungen einzufangen,was bei der Dunkelheit nicht ganz einfach war. Aber Lukas schien den prüfenden Blick des Briefträgers auf sich zu spüren und setzte zu einer weiteren Antwort an.
»Das war wegen der Bläserklasse. Da hat mir der Lehrer das Sax zugeteilt. So halt.«
»Spielst du in einer Band?«
»Nee. Noch nicht. Nur im Blasorchester. In der Schule.«
Ein Fünfzehnjähriger, der lustlos im Schulorchester Saxophon blies und keine Ahnung von Charlie Parker hatte. Es war Zeit für Unterricht.
»Na dann.« Stifter erhob sich ächzend aus dem Liegestuhl und hörte, wie seine Knochen knackten. Er ging stramm auf die fünfzig zu.
Sie saßen seit über einer Stunde in der kleinen Hütte und hörten Jazz und Bebop. »The Bird Returns« und danach »Bird and Diz«, im Moment lief die zweite Seite. Noah saß auf Stifters Bett, die Augen zu Schlitzen verengt, und sah aus, als würde er jederzeit einschlafen. Lukas hockte auf dem Boden, die Bierflasche mit beiden Händen umklammert, mit offenem Mund und hängendem Kiefer. Er lauschte hingebungsvoll, und ab und zu ließ er sich zu einem Kommentar hinreißen. »Hammer«,
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