Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
konnte man von draußen Geräusche hören. Es klang wie Stimmen. Gepolter und Streit. Er sah dem Alten an, dass dieser verwirrt war und stirnrunzelnd aus der Tür blickte, und es war ihm klar, dass dies seine Chance war. Er begann, aus Leibeskräften um Hilfe zu schreien.
*
Beate Klinger hatte einen Schrei gehört. Sehr gedämpft und trotz des Gekeifes von Gudrun. Aber sie hatte es gehört, durch die Kellertür. Wenn das Julius war?! Energisch versuchte sie, Gudrun zur Seite zu drängen. Aber dieses renitente Weib schob die schwere Wohnungstür so schnell zu, dass sie es gerade noch schaffte, den Fuß in den Spalt zu stellen.
»Lass mich sofort rein, Gudrun! Oder ich schreie!«
»Untersteh dich«, zischte Gudrun, und Beate konnte ihr ansehen, wie hochgradig erregt und wütend die kleine Frau war. Beate nahm all ihren Mut zusammen – schließlich war sie zehn Jahre jünger und von weitaus kräftigerer Statur als Gudrun von Rechlin. Sie warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die schwere Holztür, stemmte sich mit den Füßen gegen den Rahmen und drückte mit der linken Schulter. Plötzlich gab Gudrun nach, riss die Tür auf, und Beate Klinger stolperte in den dunklen Hausflur. Beinahe wäre sie gefallen, aber es gelang ihr, sich mit einer Hand an der rupfenbespannten Flurwand abzustützen. Überrascht sah sie sich nach Gudrun um und bemerkte gerade noch, wie diese mürrisch nach draußen grüßte. Es war offenbar jemand am Haus vorbeigegangen, deshalb hatte Gudrun so schnell nachgegeben. Sie wollte um keinen Preis in der Nachbarschaft Aufsehen erregen. Das kam Beate nur zupass. Sie würde Gudrun damit unter Druck setzen, ihr drohen, bis sie endlich mit Julius sprechen konnte. Gudrun hatte die Haustür geschlossen, drängte sich an Beate vorbei in den Flur und versperrte ihr den Weg.
»Keinen Schritt weiter!« Sie breitete sogar die Arme aus, um Beate den Durchgang zu erschweren. Beate sah die Panik in Gudruns Augen, und sofort wurde sie ganz ruhig. Wenn Gudrun von Rechlin aus der Fassung war, dann würde sie, Beate Klinger, die Oberhand zurückgewinnen können. Sieentschied sich, ihre übliche Zurückhaltung aufzugeben und sofort zum Angriff überzugehen. Sie musste den Boden nutzen, den Gudrun ihr gelassen hatte.
»Ich will Julius sehen.«
Gudrun blickte sie unschuldig an und hob die Augenbrauen. Das machte Beate noch wütender, diese zur Schau gestellte Unwissenheit.
»Ich glaube, dass du ihm verboten hast, mit mir Kontakt aufzunehmen. Aber ich weiß, dass er hier ist. Ich habe Beweise.«
Nun ließ Gudrun die Arme sinken. Beate konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten und war sofort wieder verunsichert. Gudrun sah ihr direkt in die Augen – in einer Mischung aus Ungläubigkeit, Staunen, Erschrecken. Dann lachte sie trocken.
»Julius? Hier? Das kann nicht sein.« Gudrun verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe dich doch selbst angerufen, weil ich ihn sprechen wollte. Falls du dich erinnerst.«
Beates Kehle wurde trocken, sie nickte. Wie es diese Hexe immer wieder schaffte, sie in die Ecke zu drängen. Ihr Gefühl, die Situation in der Hand zu haben, verflüchtigte sich.
»Aber ich glaube dir nicht.« Beate hörte, dass ihre Stimme unsicher und zittrig war.
»Hast du Gründe dafür?«
»Ich habe seinen Mantel hier gesehen.« Beate zeigte zur Garderobe, aber sie konnte den Trenchcoat nicht entdecken. Gudrun schnaubte und zeigte Beate demonstrativ alle Kleidungsstücke, die an der Garderobe hingen. Der Trenchcoat von Julius war nicht darunter.
»Aber sein Auto«, setzte Beate hilflos nach, »unser Auto, der Jetta, der steht an dem Platz. Am Novalisplatz.«
Gudrun runzelte die Stirn und ging ein paar Schritte auf Beate zu. Beate atmete auf. Der Schlag hatte gesessen.
»Sein Auto? Das kann doch nicht sein. Bist du sicher, dass du dich nicht täuschst?«
»Nein«, beharrte Beate. »Und du weißt davon. Er ist hier. Ich bin mir ganz sicher. Und will ihn sprechen! Ich will meinen Mann sprechen, ich will Julius …« Ihre Stimme versagte, und die Tränen schossen ihr in die Augen. Gudrun fasste sie am Arm.
»Ist ja gut, Beate. Ist ja gut. Beruhige dich. Ich glaube dir ja.«
Beate wollte nicht, dass Gudrun sie anfasste. Sie wollte sich auch nicht beruhigen. Alles, was sie wollte, war, mit Julius sprechen. Auf der Stelle. Sie nahm noch einen Anlauf, obwohl ihre Stimme brüchig geworden war, und versuchte, ihre Forderung so nachdrücklich wie möglich vorzubringen.
»Ich rufe die Polizei. Es ist
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