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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Zähnen hervor.
    »Für dich ist es leichter. Du hast keine Kleinen.«
    Loyal schaltete das Licht ab, und es gab nichts zu tun, als dazustehen und halb ohnmächtig zu warten, zuzuhören, wie Cucumber Tropfen um Tropfen verblutete.
    Und jetzt weiß er es: In ihren letzten flackernden Sekunden bei Bewußtsein, als sich ihr Rücken durchbog, was er für die Zügellosigkeit der Leidenschaft gehalten hatte, was aber ihr krampfhafter Versuch gewesen war, seinen sie tötenden Körper abzuwerfen, in jenen langen, langen Sekunden hatte Billy jedes einzelne ihrer sterbenden Atome darauf konzentriert, ihn zu verfluchen. Sie würde ihn aufreiben, Entbehrung um Entbehrung, würde ihn durch das mieseste Leben hetzen. Sie hatte ihn bereits von zu Hause fortgejagt, hatte ihn unter fremde Menschen in eine fremde Lage gebracht, seine Chance auf Frau und Kinder ausgelöscht, in Armut gestürzt, das Messer des Indianers auf ihn gerichtet und ließ jetzt seine Beine im Dunkeln verfaulen. Sie würde ihn verbiegen und verrenken, bis an die Grenzen der Anatomie. »Billy, wenn du zurückkommen könntest, es würde nicht wieder passieren«, flüsterte er.
    Mit einem Schrei wachte er auf, rutschte ins Wasser. Er konnte nicht stehen. Seine Klumpfüße fühlten den Boden nicht. Er wußte, daß er die platzenden Schuhe ausziehen mußte, das Leder, das das Fleisch einzwängte, die straff gespannten Schnürsenkel, und wenn er sie herunterschneiden mußte. Er kauerte sich keuchend ins Wasser und tastete nach seinem rechten Schuh. Das aufgedunsene Bein quoll über den Schuhrand. Er zog unter Wasser an den Schnürbändern, zerrte an den nassen Knoten, wurde von Schauern gemartert. Nach langer Zeit, Stunden, dachte er, zog er das Schnürband aus den Ösen und begann den Schuh loszuhebeln. Die Schmerzen waren heftig. Sein Fuß füllte den Schuh so eng aus wie ein in die Erde gerammter Pfeiler. Herrgott, wenn er nur etwas sehen könnte!
    »Berg. Berg, ich muß mein Licht anmachen. Ich muß meine Schuhe ausziehen, Berg. Meine Füße sind grauenvoll angeschwollen.«
    Berg sagte nichts. Loyal schaltete seine Stirnlampe an und sah Berg an der Wand lehnen, halb auf einem winzigen Vorsprung zusammengesackt, auf dem seine Knie ruhten, einen Teil seines Gewichts trugen.
    In dem trüben Wasser konnte er seine Schuhe kaum sehen, einen halben Meter hoch stand es jetzt, und den Schuh würde er abschneiden müssen. Er richtete sich auf und schaltete die Lampe aus, während er in seiner Tasche nach dem Messer kramte. Es war schwer, es aufzuklappen, und noch schwerer, sich wieder ins Wasser zu setzen - fallen zu lassen - und das harte Leder aufzuschneiden. Er benutzte die Lampe sowenig wie möglich, während er sägte, keuchte und stöhnte. Endlich waren die Dinger herunter, und er schleuderte sie in die Schwärze hinaus, ein zweimaliges leises Aufklatschen, Berg stöhnte zu seiner Linken. Seine Füße waren taub. Er spürte nichts.
    »Berg. Cucumber. Zieht die Schuhe aus. Mußte meine wegschneiden.«
    »Äh-äh-äh-äh-zu-äh-äh-äh kalt«, sagte Berg. »Scheiße, äh-äh-äh-äh eiskalt. Kann nicht.«
    »Cucumber. Schuhe runter.« Cucumber antwortete nicht, aber sie hörten sein Blut ins Wasser tropfen.
    Blut Blutblut Blut Blut Blutblut.
    Es wurde schwierig zu reden, zu denken. Loyal hatte lange, zehrende Träume, aus denen aufzuwachen er sich mühte.
    Mehrmals glaubte er, er sitze in einem Schaukelstuhl neben dem Küchenherd und ein Kind lehne ihm schlafend am Herzen, so daß das helle Haar sich im leise pfeifenden Luftzug seines Atems regte. Das Gewicht des Kindes erfüllte ihn mit süßer Sehnsucht, bis seine Mutter das Feuer schürte und beiläufig sagte, das Kind gehöre nicht ihm, es sei Bergs Tochter, dergleichen Dinge seien aus seinem Leben gerissen wie Kalenderblätter und auf immer für ihn verloren.
    Dann weckte er Berg wegen der Uhrzeit, aber die Stirnlampen waren schwach, und es schien immer zehn nach zwei zu sein.
    »Steht«, sagte Berg. »Uhr äh-äh-äh steht.«
    »Wie lang sind wir deiner Meinung nach hier drin?« Er redete jetzt nur noch mit Berg. Stand dicht neben Berg.
    »Tage. Fünf oder äh-äh-äh vier Tage. Wenn du sie hörst, müssen wir klopfen, den Jungs zeigen, daß wir hier unten noch leben. Pearlette. Hoffe, sie-äh-äh-äh-äh-äh kümmern sich.«
    »Pearlette«, sagte Loyal. »Ist sie dein einziges Kind?«
    »Drei. Pearlette. James. Abernethy. Äh-äh kurz Bernie genannt. Baby. Jeden Winter krank.« Berg richtete sein schwaches Licht

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