Power and Terror
Timoresen zu verdienen oder sich Privilegien zu
verschaffen. Mittlerweile begrüßen alle die neue Nation, die durch unsere Großzügigkeit aus der Taufe gehoben wurde. Der Rest ist vergessen. Nicht Geschichte, sondern vergessen.
Eine oft gestellte Frage lautet, ob es zwischen Ihren linguistischen Forschungen und der politischen Arbeit eine Verbindung gibt.
Jedenfalls keine direkte. Auch wenn mein Fachgebiet die algebraische Topologie wäre, würde ich politisch das tun, was ich jetzt tue. Vielleicht gibt es eine versteckte Verbindung. Die Leute interessieren sich aus allerlei unterschiedlichen Gründen für Linguistik, während ich von Anbeginn darin die Möglichkeit gesehen habe, bestimmte Aspekte der höheren geistigen Fähigkeiten des Menschen und schließlich der menschlichen Natur zu erforschen, Aspekte, die in allen Bereichen zutage treten sollten. Die Sprache ist eines der wenigen Gebiete, auf denen sich sehr zentrale und einzigartige menschliche Fähigkeiten sehr intensiv untersuchen lassen, und man gelangt dabei zu Ergebnissen, die über ein nur oberflächliches Verständnis hinausgehen. Auf den meisten anderen Gebieten ist das sehr schwierig, nicht aber in der Sprache. Seit Jahrhunderten ist bekannt, daß der Sprachfähigkeit etwas zugrundeliegt, was 31
man bisweilen einen schöpferischen Aspekt genannt hat, das freie Vermögen, das zu tun, wozu Sie und ich imstande sind –
unseren Gedanken unbegrenzt Ausdruck zu verleihen, mit gewissen Einschränkungen, aber unbegrenzt, auf neue Art und Weise usw. Diese Fähigkeit ist offenbar ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Natur. Diese Annahme bildet das Kernstück z. B. der Philosophie von Descartes. Und wir können etwas über die Fähigkeit erfahren, zwar nicht über sie selbst, das entzieht sich der Forschung, aber zumindest über die Mechanismen, die damit vermacht sind.
Ähnliche Fragen lassen sich im Hinblick auf jeden Aspekt der menschlichen Fähigkeiten stellen, und auch das hat Tradition.
Vor 250 Jahren wies David Hume darauf hin, daß die
Grundlagen der Moral in einer, wie wir heute sagen würden, generativen Grammatik zu finden sein müssen. Er nannte es natürlich anders, aber er ging davon aus, daß es eine geordnete Reihe von Prinzipien geben muß, die wir auf neue Situationen anwenden können – ebenfalls unbegrenzt. Und er meinte, daß diese Prinzipien Teil unserer Natur sein müssen, weil wir sie nicht aus der Erfahrung gewinnen können. Daraus folgt (was bei Hume ungesagt bleibt), daß sie einheitlich sein müssen. Er hätte diesen Schluß auch gar nicht ziehen können, weil man damals die Menschen nicht als einheitlich begriff, aber heute wissen wir, daß sie nahezu austauschbar sind. Unsere Gattung weist nur geringfügigste genetische Variationen auf. Vielleicht sind wir alle vor nicht allzu langer Zeit aus einer einzigen kleinen Gruppe von Vorfahren hervorgegangen, so daß wir uns im wesentlichen nicht voneinander unterscheiden, und das würde bedeuten, daß auch die Prinzipien einheitlich sind.
Theoretisch kann man auch etwas über diese Aspekte der menschlichen Natur erfahren, wenn man sich auf das Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen begibt und politische oder persönliche Verhältnisse betrachtet. Man kann ja zu bestimmten Dingen eine bestimmte Haltung einnehmen – vielleicht möchte 32
man alles so lassen, wie es ist, oder man plädiert für Reformen oder eine Revolution oder was auch immer. Wenn man es damit ernst meint und als eine Art moralischer Person handelt und der Ansicht ist, das eigene Handeln sollte bestimmten moralischen Kriterien Genüge tun, dann nimmt man diese Haltung ein, weil man glaubt, das sei gut für die Menschen. Es weckt und verstärkt in ihnen die Möglichkeit, ihrem Wesen Ausdruck zu verleihen.
An diesem Punkt also gibt es eine theoretische Verbindung, die jedoch sehr abstrakt ist, weil Menschen höchst komplexe Gegebenheiten sind, die man bestenfalls oberflächlich erfaßt.
Tatsächlich können wir solche Fragen noch nicht einmal beantworten, wenn es um Insekten geht. Es wird noch lange dauern, bis wir ein wissenschaftliches Verständnis dieser Zusammenhänge erlangt haben, wenn es uns überhaupt je gelingt. Es gibt also eine Art geistiger Verbindung, aber keine deduktive.
Aber in gewissem Sinne ist Ihre Berufung auf Prinzipien in moralischen und politischen Dingen …
Es ist vergleichbar. Eine Art von Familienähnlichkeit. Aber wir wissen viel zu wenig, um wirklich enge
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