Power and Terror
funktionieren könnten, weil [nach der Auflösung des sozialistischen Blocks] das sowjetische Veto entfiele.
Ein Blick auf die Veto-Statistik ist sehr erhellend, vor allem, weil es hier um schlichte Tatsachen geht, die nicht bestritten werden können. Die Sowjets haben tatsächlich Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre sehr häufig mit Nein gestimmt. Der Grund lag auf der Hand: Die Vereinigten Staaten waren so mächtig, daß sie die UNO zum Instrument ihrer eigenen Außenpolitik machen konnten.
In den fünfziger Jahren veränderte sich die Situation. Durch die beginnende Entkolonialisierung wurde die UNO allmählich zum Spiegel der sich wandelnden Kräfteverhältnisse in der Welt. Zudem erholten sich die anderen Industrienationen. In den sechziger Jahren hatten die USA die Kontrolle über die UNO
verloren. Von da an bis heute liegen die USA mit großem Vorsprung an der Spitze der Neinsager. Danach folgt
Großbritannien, dann, mit einigem Abstand, Frankreich.
Rußland liegt an vierter Stelle. Wahr ist also genau das Gegenteil der landläufigen Auffassung. Und das betrifft, wie gesagt, nicht nur die Nahostproblematik.
Auch hier ist der Grund augenfällig: Der mächtigste Staat der Welt wird keine internationale Autorität akzeptieren. Das würde auch kein anderer Staat tun, wenn er dazu in der Lage wäre, selbst Andorra nicht. Aber in der wirklichen Welt können nur die Mächtigen tun, was ihnen beliebt.
Die Vereinigten Staaten scheinen den Standpunkt Europas zu ignorieren.
Das ist schon immer so gewesen.
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Und jetzt noch mehr als vorher?
Washington ignoriert auch die Meinung der eigenen
Bevölkerung. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Nahost.
Eine beträchtliche Mehrheit der US-Bürger unterstützt den Plan Saudi-Arabiens. Die Regierung ist dagegen. Wenn man den Leuten sagt, daß ihre eigene Regierung das blockiert, was sie unterstützen, wissen sie gar nicht, wovon die Rede ist, weil keiner davon Kenntnis hat. Um so etwas in Erfahrung zu bringen, braucht man ein Forschungsprojekt.
Und auch das, die Ignoranz gegenüber der Meinung der eigenen Bevölkerung, ist schon immer so gewesen und gilt ebenfalls nicht nur für die Vereinigten Staaten. Jeder Staat, der es sich leisten kann, gibt auf die Meinung der Leute keinen Pfifferling.
Wird sich das jemals ändern?
Es hat sich schon geändert. Vor dreißig oder vierzig Jahren war es viel schlimmer. Heutzutage muß die US-Regierung bei Waffenlieferungen und ähnlichen Dingen Rücksicht auf vom Kongreß gesetzlich verfügte menschenrechtliche Erwägungen nehmen. Meistens findet sie eine Möglichkeit, das zu umgehen, aber die Beschränkungen sind vorhanden. Auch das ist ein Ergebnis der Auseinandersetzungen in den sechziger Jahren.
In der Bevölkerung ist das Bürgerrechtsbewußtsein heute sehr viel stärker ausgeprägt als vor vierzig Jahren, und diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Der staatlichen Gewaltanwendung sind Grenzen gesetzt worden. Und es gibt auch gar keine andere Möglichkeit. Bei derart mächtigen Staaten, seien es nun die USA oder ein anderes Land, können Beschränkungen der Gewalt nicht von außen, sondern nur von innen her bewirkt werden.
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In Palo Alto haben Sie über die Militarisierung des Weltraums gesprochen und auf die Diskrepanz zwischen dem mächtigsten Land der Welt und den anderen Ländern hingewiesen. Und der Abstand wird immer größer. Wird das von grundlegendem Einfluß auf die weitere Entwicklung sein?
Das ist bereits der Fall. Die gegenwärtige politische Führungsmannschaft der USA ist in dieser Hinsicht sicherlich extrem. Aber sie hat sich auf die Anwendung von Gewalt festgelegt, wenn es um die Kontrolle der Welt geht, und sie sagt das auch ganz offen.
Als vor einigen Wochen der saudische Prinz Abdallah in Washington war, wollte er führende Politiker dazu bewegen, ihre Unterstützung der israelischen Gewalt einzuschränken. Er wies darauf hin, daß es in der arabischen Welt zu Unruhen kommen könnte, die sich auf die US-amerikanischen Interessen, wie etwa das Erdöl, nachteilig auswirken würden. Die Reaktion war interessant: Er stieß auf taube Ohren.
Vielmehr sagte man ihm – das ist in der New York Times nachzulesen –, er solle daran denken, was wir mit dem Irak, Stichwort »Desert Storm« [1990], gemacht haben. Jetzt sind wir zehnmal so stark. Wie stark, das demonstrieren wir gerade in Afghanistan. Damit zeigen wir euch, was passieren kann, wenn ihr aufmüpfig werdet. Wenn ihr
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