PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
zu Intuition, weil sie ...«
»... weil sie wie die Skulpturen Hirnsubstanz von Chaom enthält«, erriet Routh.
»Oh, nicht irgendwelche Hirnsubstanz, sondern wahre zerebrale Schmuckstücke: Hirne oder doch Hirnareale ihrer erfahrensten Raumadmiräle, Strategen, Navigatoren.«
»Und dieses Containerschiff transportiert so eine ...?«
»Mentronik«, sagte Cranstoun. »Ja. Dies ist die erste Mentronik. Das Schiff bringt sie zur CHURTA-Werft. Dort wird sie integriert in eine der Kriegsgewalten, wie die Chaom ihre Sternenschlachtschiffe bezeichnen. Die Kriegsgewalt, für die sie vorgesehen ist, landet eben. Es ist die HAOCHTACHEN CHURTA II.«
Tatsächlich tauchte soeben ein Stahlkoloss aus den Wolken über der Stadt. Der Grundköper des Schiffes war eine Scheibe, deren Rand unregelmäßig da eingebogen, dort ausgestülpt war.
Routh sagte: »Es sieht aus wie ein Puzzlestück.«
Cranstoun nickte. »Oder wie das Element eines riesenhaften Mosaiks, nicht wahr?«
Das Schiff glitt lautlos Richtung Containerschiff, überholte es und verschwand hinter dem Horizont.
»Willst du dir die Implantierung der Mentronik in die Kriegsgewalt ansehen?«, fragte Cranstoun.
Routh schüttelte den Kopf. »Erzähl es mir einfach: War es eine gute Idee? Hatten die Chaom mit der Mentronik Erfolg?«
»Oh ja«, sagte Cranstoun. »Keine hundert Jahre später musste das Somdoranische Imperium kapitulieren.«
»Wann genau? Ich meine: in welchem Jahr, bezogen auf unsere Zeitrechnung?«
Cranstoun lächelte entschuldigend. »Ich kann das nicht exakt datieren. Was ich an Zeiten und Zeiträumen nenne, sind Annäherungswerte. Vage Schätzungen.«
Das musste Routh akzeptieren
Cranstoun sagte: »Immerhin bin ich mir sicher: Jetzt, in diesem Moment, als das Containerschiff die Mentronik zur CHURTA-Werft transportiert, haben die Vorfahren unserer Art gerade ihren Fuß auf den Waldboden Afrikas gesetzt und versuchen zu gehen.«
»So tief sind wir in der Vergangenheit?« Routh betrachtete die spielenden Kinder, die Bonnes in den Körben der Laternen. Nichts Schemenhaftes war daran, alles leuchtete im Glanz der Gegenwart.
»Millionen Jahre tief«, sagte Cranstoun. »Drei, vier, vielleicht sogar fünf Millionen Jahre.«
Cranstoun ließ Routh Zeit, diese Nachricht zu verarbeiten.
Dann sagte er: »Ja, die HAOCHTACHEN CHURTA II wird sich bewähren. Ebenso die nächsten aufgerüsteten Kriegsgewalten. Nicht nur das Somdoranische Imperium wird sich den mentronisch geführten Schiffen geschlagen geben. Zug um Zug werden die belebten Zonen der Galaxis Khooch sich in die Obhut der Chaom begeben. Nicht unbedingt zu ihrem Nachteil übrigens. Die Chaom befrieden in ihrem Siegeszug etliche lokale Konflikte. Ihre Diplomatie entschärft Streitanlässe und stiftet Abhängigkeiten. Wenn aber ihre Diplomatie versagt, und das kommt vor, werfen sie ihre Flotten in die Schlacht. Und Zauderer, das kannst du mir glauben, sind die Chaom nicht.«
»Ein Goldenes Zeitalter für die Chaom«, sagte Routh.
Cranstoun musterte ihn nachdenklich. »Ja«, sagte er dann. »Ich hätte es eher die Belle Époque genannt, aber gut.«
»Kommt denn noch etwas anderes?«
»Oh ja.«
Wie in einem Zeitraffer veränderte sich die Flusslandschaft mit ihren Terrassen. Allmählich entstand eine künstliche, tief ins Land hineingeschnittene Ebene, die mit Bauwerken bestückt wurde, kuppelartigen Gebilden, verbunden mit breiten Avenuen, gesäumt von Laternen voller Bonnes.
»Das ist die Stadt Chapoch-Paio. Sie ist längst die Hauptstadt des chaomschen Sternenreiches. Dort tagt im Palais der Gemeinsamen Zielsetzung die Regierung. In den Forschungszentren dieser Metropole arbeiten die begnadetsten Wissenschaftler. Hier trifft man die hervorragenden Wohlverwahrer und Thanatotekten des Reiches, die die Leibskulpturen der Verstorbenen anfertigen und aus ihrer Zerebralsubstanz ein biomechanisches Organ herstellen, das zwar zu keiner Wahrnehmung mehr fähig ist, aber doch zu einer Art Erinnerung an sein Leben. Wenigstens an seine größten Momente.«
»Der religiöse Totenkult«, sagte Routh. »Du hast ihn erwähnt.«
»Habe ich religiös gesagt? Nein. Die Chaom haben nichts, was wir Religion nennen würden. Sie glauben weder an ein transzendentes Wesen im Jenseits des Multiversums, noch glauben sie an einen metaphysischen Ort, an dem ihre Essenz nach dem Tod weiterexistieren könnte. Sie wissen von solchen Vorstellungen. Sie spüren kein Verlangen danach. Dank ihrer Thanatotekten haben sie den
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