PR 2659 – Toufec
ihn die Treppe hatte hinaufsteigen lassen. Es gab noch ein zweites allein reisendes Kind, einen weißen Jungen, um den die Flugbegleiterinnen herumflatterten wie um einen Prinzen und der die Maschine als erster betreten durfte.
Die gehässige Stewardess hatte Caspar auf seinen Platz geführt, und man hatte ihr angesehen, dass sie den Jungen am liebsten an einer Leine hinter sich hergeschleift hätte. Sie trat Toufec auf die Zehen, versäumte es, sich zu entschuldigen, schubste Caspar grob auf seinen Platz und gab ihm mehrere Rippenstöße, während sie seinen Gurt festzog.
»Ja, Sir?«, schnappte sie dann und wandte sich an Toufec. Die Anrede Sir klang wie eine Beleidigung.
»Ich habe nichts gesagt«, sagte Toufec mit treuherzigem Augenaufschlag.
Sie war wortlos gegangen. Natürlich hatte Toufec etwas gesagt; er hatte dem Nanogentenschwarm, der den Mantel auf seinen Knien und die Reisetasche bildete, in der sich Pazuzus Flasche befand, eine Anweisung gegeben.
Die Stewardess stapfte durch den Mittelgang nach vorne, wo ihre Kolleginnen sie zweifellos bald darauf aufmerksam machen würden, dass die Strümpfe an ihren Beinen irreparable Laufmaschen aufwiesen, dass der Rock ihrer Uniform sich aufzudröseln begann und dass die Naht an einem ihrer Schuhe aufgeplatzt war. Manchmal war es überaus willkommen, mehrere Milliarden winzigster Maschinen als Verbündete zu haben, die vollkommen ungesehen agieren konnten.
»Dieser Befehl war im Ablauf für diesen Einsatz nicht vorgesehen«, rügte Pazuzus Stimme in Toufecs Ohr.
»Ich habe nur befohlen, die Strümpfe und den Rock zu ruinieren«, flüsterte Toufec.
Pazuzus Stimme klang wie immer unbeeindruckt. »Offenbar ist es zu einer Fehlübertragung zwischen mir und dem Schwarm gekommen.«
Vorn stieß die Stewardess einen spitzen Schrei aus, als sich der Absatz ihres anderen Schuhs löste und sie beinahe zwischen die Sitzreihen gefallen wäre.
Toufec grinste. Er warf dem Jungen einen Seitenblick zu, der geduldig die Schnalle seines Gurts öffnete und von Neuem schloss. Die Stewardess hatte einen Zipfel seiner Jacke eingeklemmt; im Ernstfall hätte der Gurt nicht gehalten, sondern wäre aufgegangen.
Der Junge merkte, dass er beobachtet wurde. Er hob den Blick zu Toufec und lächelte ihn scheu an.
Und Toufec blieb der Atem weg, denn dieser halb selbstbewusste, halb schüchterne Blick kam ihm bekannt vor. Es war, als säße der zehnjährige Asin neben ihm, nur dass die Augen seines kleinen Bruders in einem tiefschwarzen Gesicht unter einer dichten Haarkrause saßen.
4.
Eine gute halbe Stunde nach dem Start von Flug UA 826 und nachdem Toufec und Caspar in seliger Vertrautheit über die Technik des Flugzeugs geplaudert hatten – der Junge mit der Begeisterung des Enthusiasten, Toufec mit der nie nachlassenden Faszination des Menschen, der in einem Zeitalter geboren war, als ein über einen Flaschenzug geführtes Seil, an dessen einem Ende ein voller Wassereimer hing und an dessen anderem Ende ein Kamel zog, den neuesten Stand der Technik dargestellt hatte –, bat Caspar um Entschuldigung.
»Mein Pa hat mir einen Brief geschrieben, und ich möchte ihn noch einmal lesen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir.«
»Erwartet dein Vater dich in New York?«
Caspar nickte. »Er ist ein Cop«, sagte er voller Stolz. »Ich verbringe Weihnachten bei ihm.«
»Und ... deine Mutter?«
Caspar hob die Schultern. »Ist schon lange tot. Ich lebe bei meinen Großeltern in Chicago. Pa sagt, wenn ich alt genug bin, um auf mich allein aufzupassen, während er Dienst hat, holt er mich zu sich, und dann leben wir zusammen.«
Toufec widerstand dem Impuls, dem Jungen durch die dichte Haarkrause zu fahren. Er zwinkerte ihm stattdessen zu und lehnte sich zurück, damit Caspar seinen Brief lesen konnte.
»Neueste Daten von der TOLBA«, meldete Pazuzu kurz darauf. »Delorian hat es geschafft, eine annähernde Berechnung zu erstellen.«
Toufec hielt sich die Hand vor den Mund, als würde er gähnen. »Berechnung wovon?«, flüsterte er.
»Wann dieses Flugzeug abstürzen wird.«
Toufec blinzelte. Er hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, weshalb er und Clara an Bord waren! Die Begegnung mit Caspar, der so sehr dem zehnjährigen Ich seines verschollenen kleinen Bruders ähnelte, hatte ihn die nahende Katastrophe vergessen lassen. Er starrte schockiert ins Leere. Niemand würde diesen Absturz überleben, hatte Delorian gesagt – außer Dr. Duncan Talbot, wenn dieser sich retten
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