PR 2692 – Winters Ende
gemeinsam. Die wird Augen machen, was?«
»Mhm.« Aria klang nicht überzeugt.
Yugen hatte sie mitgenommen, weil er Irmayi mit ihrer kleinen Schwester konfrontieren wollte. Sie liebte Aria sehr. Zumindest war das früher so gewesen, bevor sie den Sayporanern auf den Leim gegangen war.
Erneut versetzte ihn der Gedanke in brodelnde Wut, welcher Teufel Rabienne ritt, dass sie so herzlos die Bedürfnisse der Kleinen ignorierte. Wie konnte sie die Wahl zwischen zwei Kindern treffen, von denen sie eins – seines Erachtens – ohnedies bereits verloren hatte?
Handelte es sich um eine Form von Selbstaufgabe, die ihm niemals begreiflich sein würde? Er vermochte Rabiennes Überlegungen einfach nicht nachzuvollziehen.
Ging sie unbekümmert davon aus, dass er für Aria sorgen würde, sodass es der jüngeren Tochter in Zukunft an nichts mangelte? Aber was konnte einem achtjährigen Kind Schlimmeres passieren, als von der Mutter ohne Not verlassen, gleichsam verstoßen zu werden?
Yugen hoffte inständig, dass Irmayi den Schmerz und die aufkeimende Panik ihrer kleinen Schwester spürte. Sicher war er sich keineswegs. Die Sayporaner hatten sie einer Gehirnwäsche unterzogen und buchstäblich einen neuen Menschen aus ihr gemacht: eine Sayterranerin.
Würde sie verstehen, was ihn umtrieb? Dass er seine Familie retten wollte, wie es seine väterliche Pflicht war? Oder würde sie ihn stattdessen auffordern, sich ebenfalls in Suspension zu begeben und Aria kaltherzig ihrem Schicksal zu überlassen?
Er befürchtete, dass er auf verlorenem Posten stand. Aber darauf war er vorbereitet.
Yugen Estmon-Winter hatte einen Plan. Die letzten Details auszufeilen, dazu war er nicht mehr gekommen. Wichtiger war sowieso seine unbedingte Entschlossenheit.
Es musste und würde ihm gelingen, seine Familie heil mit heim zur Erde zu nehmen; seine ganze Familie. Nötigenfalls durfte er nicht davor zurückschrecken, Gewalt anzuwenden. Manchmal musste ein Mann Rückgrat beweisen.
Kurz vor zwölf Uhr Mittag Terranischer Standardzeit erreichten sie die Sektion, in der Irmayi tätig war.
*
Dieser Bereich des planetaren Untergrunds war die pure Gigantomanie.
Schon die Liftkabine, die Yugen und Aria weit hinab in die Tiefe Saypors beförderte, hätte Raum für mindestens zweihundert Personen geboten. Ohne Ruck kam sie zum Stehen.
Die Vorderwand der Kabine glitt auseinander und verschwand in den seitlichen Rahmen. Yugen stockte der Atem.
Der Raum, der sich vor ihm in alle Richtungen ausbreitete, war schlicht immens, um ein Vielfaches gewaltiger als selbst der größte Saal oder Schiffshangar. Er schien keine Grenzen, keine Wände zu haben.
Da und dort, weit entfernt, glaubte Yugen Säulen zu sehen, die Boden und Dach verbanden. Oder waren das nur weitere Aufzugschächte in den Abgründen dieses Raums?
Unüberschaubar viele Ruhebetten erfüllten ihn, zu endlosen Reihen geordnet. Es mochten einige Millionen sein. Jede Liegestatt bedeckte eine durchsichtige Kuppel wie ein Glassturz oder ein transparenter Kokon.
Über diesem Lager für ein Millionenheer rotierte langsam eine Leuchterscheinung: ein Licht, rötlich getönt wie der Schein der Sonne Banteira, jedoch auf unerklärliche Weise gefaltet, ähnlich einer Pasine aus sanfter roter Helligkeit.
Nur im Kern strahlte die Erscheinung heller, aber nicht grell. Sie schwebte über jeder einzelnen Liege, nein: Unfassbar ortlos, ausdehnungslos, mit dem Blick nicht zu fixieren, bestrahlte und erwärmte sie alle zugleich.
Zwischen den auf kupferfarbenen Gestellen ruhenden Suspensions-Bänken – denn darum handelte es sich zweifellos – herrschte emsiges Treiben. Viele der Umsiedler unterzogen sich gerade der sonderbaren Prozedur oder hatten sie bereits hinter sich.
Dass Yugen Estmon-Winter seine große Tochter in all dem Durcheinander der unterirdischen Flucht fand, und dies schon nach wenigen Minuten, grenzte an ein Wunder.
*
Er erkannte sie sofort.
Äußerlich hatte Irmayi sich nur wenig verändert. Die Haare trug sie neuerdings aufgesteckt, doch sonst ... Sie bewegte sich durch die Bettenreihen mit genau den energischen, raumgreifenden Schritten und der Zielstrebigkeit, die Yugen schon immer an ihr bewundert hatte.
Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Zwei-, dreimal musste er ansetzen, bis er es schaffte, sie anzusprechen.
Irmayi konnte ihre Überraschung nicht verhehlen. Sie stoppte abrupt, prallte förmlich zurück. »Vater? Aria! Man hat mich kürzlich von eurer Ankunft in
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