PR 2703 – Tod im All
die Hand aus und schaltete den Projektor ab, damit er die beiden Frauen besser sehen konnte. Beide waren jung, genau wie er, und erst seit ein paar Jahren auf der HILDEGARD VON BINGEN stationiert.
Ana Spiteri, die an Bord den Posten der Chefingenieurin innehatte, war in Rio de Janeiro geboren worden und aufgewachsen. Sie hatte einen athletischen, braun gebrannten Körper, kurze, wild abstehende Haare, und in ihren dunklen Augen funkelte es, als fordere sie ihre Umgebung unablässig dazu auf, sich mit ihr anzulegen.
Chasimi Tano, die zierliche Leiterin der Bordlogistik, wirkte da deutlich ausgeglichener. Mit ihren mandelförmigen Augen und den glatten schwarzen Haaren, die sie schulterlang trug, erinnerte sie an die Asiaten der Erde an der Schwelle zur Raumfahrt. Sie stammte von Chonosso, der Hauptwelt der Chan-Ish-Koalition, eines etwa 17.000 Lichtjahre entfernten Planetenbündnisses, das erst seit gut hundert Jahren Vollmitglied der LFT war.
Tasso hatte die beiden kennengelernt, weil sie alle drei dem an Bord eher ungewöhnlichen Hobby des Null-G-Parcourslaufs nachgingen. Ana hatte einen ungenutzten Teil von Modul-BOX 121 so eingerichtet, dass sie dort trainieren konnten. Auf diese Weise war er den beiden Frauen näher gekommen als jedem anderen Kollegen an Bord.
Konkret bedeutete das: Sie waren locker befreundet. Gerüchten zufolge hatten Ana und Chasimi beide Partner auf Terra. Mehr würde also daraus nicht werden, ein Umstand, den Tasso zutiefst bedauerte. Andererseits war es vielleicht besser so, als wenn beide ungebunden wären. Er wollte die Freundschaft mit den beiden nicht aufs Spiel setzen, indem er mit einer von ihnen offen anbandelte – zumal er ohnehin nicht gewusst hätte, für welche er sich hätte entscheiden sollen. Tja, so kann man sich auch schönreden, Single zu sein ...
»Sehen wir uns heute Abend zum Training?«, unterbrach Chasimi seine Gedanken.
»Habt ihr denn Zeit dafür?«, wollte Tasso wissen. »Wir sind doch auf dem Weg in den Einsatz.«
Ana winkte ab. »Wir brauchen eine ganze Weile bis in den Ghatamyz-Sektor. Bis dahin haben wir viel Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Außerdem brauche ich ein wenig Abwechslung. Ich muss mich abreagieren, körperlich mal wieder an die Grenzen bringen. Sonst drehe ich durch, wenn ich an das denke, was uns erwartet.«
»Ja, das verstehe ich«, pflichtete Tasso ihr bei. »Mir bereitet dieser Konflikt auch Magenschmerzen. Ich fürchte, wir werden viel zu tun bekommen.« Er nickte. »Also bin ich dabei. Treffen wir uns nach Dienstschluss drüben in 121?«
»Wie immer. Wir ...«
Ein lauter Glockendreiklang hallte durch die Offiziersmesse und – wie Tasso wusste – durch das ganze Schiff. Dann drang die ruhige Stimme der Biopositronik aus der Bordsprechanlage.
»Achtung! An alle diensthabenden Besatzungsmitglieder. Der Ghatamyz-Verband wird in dreißig Minuten in den Linearraum eintreten. Bitte Stationen einnehmen. Ich wiederhole: An alle diensthabenden Besatzungsmitglieder. Der Ghatamyz-Verband wird in dreißig Minuten in den Linearraum eintreten. Bitte Stationen einnehmen.«
Tasso stand auf. »Ich muss los. Wir sehen uns heute Abend.«
»Bis dann«, antwortete Ana lächelnd.
Chasimi winkte ihm zu.
Es war so schön, mit den beiden befreundet zu sein – bloß befreundet.
Ich könnte echt heulen ...
*
Als Tasso in der Zentrale der HILDEGARD VON BINGEN eintraf, herrschte dort die übliche Geschäftigkeit. Entlang der Wände saßen die diensthabenden Besatzungsmitglieder an ihren Stationen, in der Mitte thronte Oberst Jachim Korber auf seinem Kontursitz und behielt nicht nur den Holotank vor sich im Auge, sondern auch das ganze Durcheinander um ihn. An der Decke über ihm schimmerte in einer Halbkugel der Zentraleableger der Biopositronik LARIN.
Der Kommandant des Lazarettschiffes hätte mit seinem weißen Bart und den zerfurchten Gesichtszügen auch einen guten Seemann abgegeben. Zufällig wusste Tasso, dass Korbers Herz tatsächlich fürs Meer und die historische Schifffahrt schlug.
In einem kurzen Moment persönlicher Nähe hatte der Oberst ihm verraten, dass er sich manchmal wünsche, vor dreitausend Jahren geboren worden zu sein, als Mut, Tatkraft und Durchhaltewillen nötig gewesen waren, um auf einem der hölzernen Schoner über die Meere Terras zu segeln. Als das Reisen ein Abenteuer gewesen war – und kein Tagesgeschäft.
Neben Korber stand Major Harkon Denning, ein hagerer, ernster Mann von der Ostküste
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