PR Andromeda 06 - Die Zeitstadt
eine Zeitlang kannte und aufrichtig schätzte, rief die schlängelnde Bewegung der tentakelhaften Extremität bei ihm jedes Mal eine Gänsehaut hervor.
»Ja, Grek?«, ermunterte Coa den kauzigen Wasserstoffatmer.
»Möglicherweise sollten wir nun doch auch die Worte des Liedes beachten, das uns auf paraphysikalische Weise übermittelt wird. Ich habe das Gefühl« - er klopfte bedeutungsvoll auf den LemSim, der sich unter seinem Raumanzug abzeichnete -, »sie könnten eine Botschaft enthalten, oder zumindest einen Hinweis auf den Aufenthalt und das Befinden unserer Kameraden.«
»Argument akzeptiert.«
Ohne weitere Umschweife wies Coa den Syntron an, ab sofort den Text zu übersetzen, den Lasky Batys Bildnis von sich gab. Viel kam allerdings nicht dabei heraus. In sehr poetischer, blumiger Sprache sang der Charandide von Abschied ohne Hoffnung auf Wiederkehr, von einem Bahnhof der verlorenen Seelen, von einer endlosen Ebene unter einem unerreichbaren, gelben Himmel. Hübsche Metaphern, die aber für alles oder nichts stehen konnten. Sie hörten eine Weile konzentriert zu, doch dann widmeten sich die Verantwortlichen der verschiedenen Stationen wieder ihren eigentlichen Aufgaben. Nur Grek-6651/2 lauschte weiterhin verzückt.
Gut so, dachte Bruno. Das schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Grek passt auf, ob nicht doch etwas Wichtiges über die Psi-Verbindung hereinkommt, also brauchen wir uns nicht darum zu kümmern. Und zugleich ist er abgelenkt und kann uns nicht nerven. Von mir aus darf dieser Baty noch lange singen ...
Ein unterdrückter Laut der Überraschung lenkte seine Aufmerksamkeit aufs Orterpult. Dort überprüfte Cita Aringa, die Hand vor dem Mund, mit gerunzelter Stirn ihre Anzeigen.
»Tut sich was?«, fragte die Kommandantin, die ebenfalls gute Ohren hatte.
»Auf dem Planeten nicht«, meldete die Cheforterin. »Da ist weiterhin alles auf etwa zehn Prozent der Kapazität reduziert. Aber dafür ist im Raum um Taupan der Teufel los. Soeben ist die dritte Großflotte von Kastuns materialisiert. Und da kommt auch schon die vierte. Aber die Schiffe setzen nicht zur Landung an, sondern gehen in eine provisorische Parkposition. Als würden sie auf etwas warten.«
Bruno konnte sich denken, worauf. Der Orkan, die schwarzen Schneewolken und die ultrahochfrequenten Schockwellen hatten bereits große Teile des Planeten mit rostigem Pseudo-Leben überzogen. Bald würde dieser Vorgang abgeschlossen sein.
Und was kommt dann?
Bruno Thomkin war nicht sicher, ob er es wirklich wissen wollte.
»Wie ist das möglich?«, fragte Tess Qumisha.
Perry schwieg. Was hätte er sagen sollen? Nicht einmal Kiriaade hatte eine Antwort parat.
Wäre er nicht ganz sicher gewesen, dass sie sich nach wie vor im Inneren der Nebelburg befanden, hätte er geglaubt, auf einen anderen, fremden Planeten versetzt worden zu sein. Doch es hatte keinerlei Anzeichen für einen Transmitterdurchgang, eine Teleportation oder eine andere Form der zeitlosen Ortsversetzung gegeben. Sie waren einfach aus dem Lift getreten.
Hatten den Bahnhof erblickt. Und die Ebene.
Die sich, kahl und sturmgepeitscht, bedeckt von Geröll und unterschiedlich großen Steinbrocken, bis an den Horizont erstreckte. Perry vermochte nicht abzuschätzen, wie weit er entfernt war. Aber es sah auf jeden Fall nach mehr als zehn Kilometern aus. Über ihnen wölbte sich ein diesiger, gelblicher, nein: vergilbt wirkender Himmel.
Genau, daran erinnerte ihn die Farbgebung dieser Szenerie: an die Ansichtspostkarten seiner Kindheit! Handkoloriert waren sie gewesen, damals, in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts alter Zeitrechnung. Seine Mutter hatte ein gutes Dutzend hinter die Glasscheiben der Anrichte in der Küche drapiert: Urlaubsgrüße, Trophäen stolzer Verwandter und Bekannter, die es nach Florida geschafft hatten, nach Kuba oder gar Mexiko. Schon bald hatte das Sonnenlicht die Karten ausgebleicht, und die ohnehin magischen, unwirklichen Farben waren noch irrealer geworden.
Damals war es für Perry unvorstellbar gewesen, dass er selbst einmal derart fremde, exotische Orte aufsuchen könnte ...
Inmitten der Ebene, die wie ein Schwarzweißfoto wirkte, das lieblos mit blassen Braun- und Orangetönen übermalt worden war, lag der Bahnhof. Zweckmäßige, an einfache Hangars erinnernde, graue Hallen. Sogar die in sie mündenden, goldenen Gleise und die stahlblauen Waggons des schwerelosen Zuges schienen all ihren Glanz und Schimmer eingebüßt, sich der
Weitere Kostenlose Bücher