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PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane

PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane

Titel: PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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die Sonne. Sogar - es macht eine große, kindliche Geste - die ganze Welt. Hör doch!
    Ich lausche mit den Aurenaugen, das geht gut im Traum. Tatsächlich. Ich höre die Sonne, sie seufzt wie ein mächtiges Tier im Schlaf. Ich höre das Wispern der ganzen Welt, leise, von überall her, süß und wild und müde und voller Fernweh und Begeisterung.
    Nur im Schachtmeer - sagt das Kind mit gesenkter Stimme -, da ist es ganz still. Hörst du?
    Wie soll ich denn hören, was im Schachtmeer ist?
    Das Kind sieht mich erstaunt an: Wie solltest du nicht? Wir sind doch im Schachtmeer! Im Schachtmeer? Was tun wir hier?
    Wir lernen , sagt das Kind; wir lernen , sie zu wecken.
    Sie?
    Sie.
    Warum?
    Weil sie mächtig sind. Weil wir lernen wollen, wieso sie so mächtig sind. Weil wir lernen wollen, wie sie gemacht sind.
    Und warum wollt ihr das lernen?, frage ich.
    Der Junge lächelt traurig: Weil wir schon so lange einen großen Krieg führen.
    Ich spüre, was er sagen will, und frage: Warum glaubst du, dass ich diesen Krieg beenden kann?
    Er lächelt wieder: Das glaube ich ja gar nicht. Aber ich glaube, du kannst verhindern, dass er beginnt!
    Wie?
    Du musst ins Spindelhaus, sagt er, geh ins Spindelhaus.
    Ich kenne kein Spindelhaus, wende ich ein.
    Doch, sagt er. In deinen Träumen steht es dir offen!
    Ich erwachte, ich öffnete die Augen und schlief wieder ein.

Die neun Träume des Orontiu Pleca - Traum Nr. 6:
    Wahrträumer im Spindelhaus
    Ich finde mich wieder in einem spindelförmigen Gebäude. Durch die Mitte des Bauwerks zieht sich ein offener, runder Schacht; eine niedrige Brüstung umgibt ihn.
    Ich fahre den Kopf aus, pendele über die Brüstung, blicke nach oben, nach unten. In beiden Richtungen sehe ich endlos viele Stockwerke einander folgen, jedes Stockwerk bestückt mit Regalwänden voller Aktenrollen.
    Es ist still. Ich wende mich von der Brüstung ab, schaue mich um.
    Direkt hinter mir sitzt eine junge Siccyi an einem Schreibtisch und kratzt mit einem Schreibholz über ein altes Pergament. Sie muss bemerkt haben, dass ich sie ansehe, und schaut auf.
    »Guten Tag«, grüßt sie mich freundlich. »Bist du schon lange hier?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ich ins Spindelhaus gekommen bin, durch welche Tür.«
    »Das weißt du alles nicht, mein Held? Tscha!« Sie lächelt mich an. »Aber du weißt schon, dass die Wachspindel keine Türen hat, oder?«
    »Nein, das wusste ich nicht. Ich bin zum ersten Mal hier.«
    »Wenn du meinst.« Sie widmet sich wieder ihrem Pergament. Mir fällt auf, dass sich die Ränder der gereinigten Schreibgrundlage leise kräuseln, als lebe die Haut noch.
    »Dein Pergament lebt«, warne ich die junge Frau.
    »Natürlich tut es das. Alles in der Wachspindel lebt«, lispelt die
    Siccyi, als würde sie meine Verwunderung verwundern.
    Ich warte.
    Endlich seufzt die Frau, legte das Schreibholz zur Seite und sieht mich wieder an. »Alles in der Wachspindel lebt, aber nicht alles lebt in der Wachspindel«, sagt sie. »Obwohl wir so viele zu sein scheinen, sind wir doch wenige.« Sie weist mit einem traurigen Blick auf den Schacht, der zu den übrigen Stockwerken führt.
    »Es sind immerhin endlos viele Etagen«, sage ich, wie zum Trost.
    »Nein. Sind es nicht. Es sind endlich viele. Es ist nur eine begrenzte Zahl. Wenn man ein Endliches über ein Endloses verteilt, bleiben Lücken. Wie viele Lücken bleiben?« Sie spitzt die Lippen. Schön glänzt der Speichel, frisch und weiß. »Nun?«
    »Endlos viele«, antworte ich.
    »Endlos viele«, wiederholt sie und erhebt sich behände von ihrem Schemel. Sie geht zur Brüstung, sieht sich um: »Na komm, zier dich nicht. Ich fresse dich schon nicht auf!« Ich trete zu ihr hin, fahre den Hals aus, pendele wieder in den Schacht.
    »Auf jedem Stockwerk einer«, flüstert sie. »Nur einer. Ich wollte, ich könnte mehr bieten als das, Orontiu Pleca.«
    Ich fahre zusammen. Woher weiß sie meinen Namen?
    »Weil ich die Verwalterin deiner Träume bin, Orontiu Pleca. Verwalterin des Traumgutes der Wahrträumer aller Generationen.«
    »Ich bin also wirklich ein Wahrträumer?«
    »Natürlich. Das sind hier alle. Von mir einmal abgesehen.« Sie giggelt.
    »Warum bin ich ein Wahrträumer? Was heißt das? Womit habe ich das verdient?«
    »Verdient? Verdient hast du es dir gar nicht.«
    »Und wozu bin ich es dann?«
    Sie sieht mich an, begutachtet mich. »Komm in deinem nächsten Traum wieder«, sagt sie. »Dann erzähle ich dir eine Geschichte.«

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