PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
schaute sich nach seinem Herrn um und hob an einer Hauswand das Bein.
»Hast Recht«, murmelte Saedelaere. »Wen interessieren schon meine Probleme?«
Er führte das Pferd am Zügel und folgte dem Hund tiefer in die Stadt hinein. Er war nie zuvor in Arequipa gewesen, folglich war es egal, in welche Richtung er sich zuerst wandte. Ein Hinweis auf die örtliche Begräbnisstätte ließ ihn innehalten. Gleich darauf wandte er sich in die Richtung des Krematoriums. Was er ausgerechnet dort wollte, wusste er selbst nicht zu sagen, aber wo es keine Lebenden gab, erschien es ihm nur logisch, nach den Toten zu schauen.
Zögernd betrat er das einst allen Glaubensrichtungen offen stehende Gebäude. Von der Eingangshalle aus gelangte man in die deutlich kleineren, fast schon intimen Abschiedsräume. Alaska entdeckte eine christliche Kapelle, die den abendländischen Zweig des Christentums ebenso umfasste wie den jüdischen Glauben und eine prunkvoll ausgestaltete orthodoxe Seite; im Anschluss daran fand er eine nach Mekka ausgerichtete Moschee. Im dritten Raum erwartete ihn ein vergoldetes Standbild Buddhas, und erst danach entdeckte er den eigentlichen Zugang zum internen Krematoriumsbereich. Vier seit unbestimmter Zeit gekühlte Behälter standen in den Nischen. Alaska öffnete den ersten — und blickte auf die Leiche einer älteren Frau. Sie erweckte den Eindruck, als wäre sie erst vor Stunden entschlafen. Alaska murmelte ein knappes Gebet, eigentlich nur wenige Worte, die ihm spontan in den Sinn kamen, dann schloss er den Sarg wieder. Er verzichtete darauf, auch die anderen Kühlbehälter zu öffnen, denn die unausgesprochene Frage, die ihn beschäftigt hatte, war schon beantwortet worden: Das unheimliche Verschwinden schien sich nur auf die Lebenden beschränkt zu haben, die Toten waren auf ihrer Welt zurückgeblieben.
Die nächsten Stunden nutzte der Transmittergeschädigte, um für seine Tiere Futter zu beschaffen und eine systematische Durchsuchung der größeren Gebäude zu beginnen. Irgendwann stieß er auf Zeitungen des Vorjahres, Multimedia-Aufzeichnungen und sogar ein aufwändiges handgeschriebenes Tagebuch.
Die Nacht war inzwischen angebrochen. Wie schon an den letzten Abenden hing der Mond groß und milchig am Himmel. Sein zernarbtes Antlitz war das einzig Vertraute neben fremden Sternen. Saedelaere kannte nicht eines der Sternbilder, und das war auch nicht mehr der Mahlstrom. Die Erde hatte demnach erneut ihre Position verändert.
»Wo sind wir?« Alaska lauschte dem Beben in der eigenen Stimme.
Eben noch hatte der Mond seine fahle Helligkeit vergossen, aber schon verbarg er sich wieder hinter schweren Wolkenbänken. Minuten später tobte ein Orkan über die Stadt hinweg. Die Natur eroberte zurück, was ihr die Menschen einst entrissen hatten.
Saedelaere studierte die Aufzeichnungen. Je mehr er las, desto entsetzter reagierte er. Die Erde war zusammen mit der Sonne Medaillon, mit dem Mond und der Nachbarwelt Goshmos Castle in den Schlund des Mahlstroms gestürzt. Und die Menschen hatten schon lange zuvor gewusst, dass diese Katastrophe geschehen würde. Chaos schien in weiten Regionen des Planeten geherrscht zu haben.
Kurze Zeit vor dem Sturz in den hochenergetischen Wirbel, der die dünnste Stelle des 156.000 Lichtjahre messenden Mahlstroms markierte, war die PILLE auf dem Markt erschienen. Das geheimnisvolle Medikament hatte die Menschen endlich von der Aphilie befreit. Aber wohl nur um den Preis, dass sie nun sehenden Auges auf ihr Ende zugegangen waren.
Alaska vermisste in den Aufzeichnungen und Berichten die Antwort auf seine drängendste Frage: Wo ist die Menschheit?
23.
Der Himmel hatte ein Einsehen mit ihm, aber vielleicht war es auch nur Zufall — so genau wollte Alaska Saedelaere das gar nicht wissen. Jedenfalls bescherte ihm der neue Tag einen flugfähigen Gleiter, eine Maschine, mit der er nicht nur den Kontinent überqueren konnte, sondern die ihn auch über den Atlantik tragen würde. Ihn und Callibso. Dass der Mischlingshund den Gleiter heftig verbellte, ignorierte Alaska. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie Marduk, so hatte er den Braunen genannt, zurücklassen mussten. Die Tiere hatten sich schnell aneinander gewöhnt.
Alaska flog in nordöstliche Richtung, über die Bundesstaaten Kolumbien und Venezuela hinweg. Nirgendwo sah es anders aus als auf dem Altiplano. Verlassene Städte, einsame Überlandstraßen, leere Raumhäfen. Hin und wieder stoben ausgewilderte
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