PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
angebrachten, biegsamen Haken durch zwei Gürtelschlaufen fädelte.
»Ich nehme an«, ergriff wieder Achab das Wort, »du kannst mir nichts über den Hyperfunkimpuls sagen, der abgestrahlt wurde, unmittelbar nachdem wir eure Arche betreten haben?«
Wieder verstand er die meisten Vokabeln, doch im Satz ergaben sie für ihn keinen Sinn. Hilfe suchend sah er den Majittri an.
»Natürlich nicht. Du überforderst ihn«, sagte dieser mit, wie Boryk vorkam, tadelndem Unterton zum Maffan. Überhaupt schien zwischen den beiden eine gewisse Spannung zu herrschen. Das war ganz normal und früher auch im Dorf so gewesen, bevor er beide Ämter in seiner Person vereinigt hatte.
Oh nein, nicht jetzt!, schrie er im nächsten Moment in Gedanken auf. Ein schneidender Schmerz zwischen seinen Schulterblättern kündigte einen neuen Anfall an.
Zu allem Überdruss lenkten die Riesen nun auch noch das Gespräch auf jenes Thema, das ihm mit Abstand am unangenehmsten war. »Du verdankst deine Langlebigkeit dem Gerät, dessen Umrisse sich unter deinem Hemd abzeichnen, ewigjunger Boryk, nicht wahr?«, fragte Achab. »Magst du uns sagen, wie du dazu gekommen bist?«
Nein, das wollte er eigentlich nicht. Verzweifelt zermarterte er sich das Hirn, suchte nach einer Ausrede. Zugleich kroch die Schwäche sein Rückgrat hinab, begann sich im ganzen Rumpf auszubreiten, und panische Todesangst mit ihr.
»Lass dir Zeit«, sagte Jars, der Majittri. »Niemand drängt dich. Du musst jetzt auch gar nicht antworten, wenn du nicht willst.«
Das sollte wohl einfühlsam klingen. Für Boryk schwang dennoch eine unterschwellige Drohung mit: Wenn du nicht auf der Stelle gestehst, dann eben später. Wir haben es nicht eilig, weil wir sowieso am längeren Hebel sitzen. Du entkommst uns nicht, kleiner Mann. Wohin könntest du schon flüchten?
Die Panik und die Schwäche sanken in seine Oberschenkel hinab und wallten zugleich in seiner Brust hoch bis zum Hals. Nein, er hatte eben fast keine Zeit mehr! In Kürze würde ihn der Schwächeanfall niederwerfen, und das vor den Augen des ganzen Dorfes. Das musste er unbedingt vermeiden. Für sein Volk stellte er einen Fixpunkt dar, an dem es sich orientieren konnte, so zuverlässig wie die Gestirne am Firmament, immerwährend wie die Vulkanklippen, das Meer und der Horizont. Wenn er mitten unter einem Gutteil seiner Schützlinge zusammenbrach, das Bewusstsein verlor, vielleicht gar starb, würde sie das über alle Maßen verunsichern. Diesen Schock durfte er ihnen nicht antun, nicht jetzt, da ihr Weltbild ohnehin schwersten Erschütterungen ausgesetzt wurde.
Er musste sich zurückziehen, jetzt sofort, noch bevor der Anfall ihn vollends überwältigte. Doch das würden die Riesen, die begierig die Stelle auf seiner Brust angafften, wo das Amulett der traurigen Göttin hing, nicht zulassen. Ihrer Körpersprache, die der menschlichen erstaunlich glich, entnahm er, dass sie bereits ungeduldig wurden. Sie gaben zwar vor, tolerant und langmütig zu sein. Pah! In Wirklichkeit brannte ihnen die Zeit unter den Nägeln; sie wollten sich hier nicht mehr lange aufhalten, sondern möglichst bald wieder dorthin zurückkehren, woher auch immer sie gekommen waren. Nein, von ihnen war kein Verständnis zu erwarten, so sehr sie ihm das auch vorzugaukeln versuchten.
Er musste weg, weg von hier. Aber wie? Um aufzuspringen, loszusprinten, davonzulaufen, sich hinauf in die Klippen zu retten, sich wenigstens so lange in einem der Stollen des Silbernen Bergs zu verkriechen, bis der Anfall überstanden war, hatte er nicht einmal annähernd genug Kraft. Schon nach wenigen Metern würde er umkippen und niederstürzen. Und die Riesen würden ihm keine Ruhe lassen, würden weiter in ihn dringen, ihn nach der Naahkin fragen und nach dem Amulett. Es war ein Fehler gewesen, sich ihnen anzuvertrauen. Wer sollte sie daran hindern, ihm die Kette einfach abzunehmen, wenn er nicht mehr in der Lage war, ihnen eine befriedigende Antwort zu geben?
Boryk litt. Todesangst und bleierne Mattigkeit rauschten in seinen Knochen; die Lähmung fing an, seine Muskeln zu ergreifen. In seinen Adern und Venen aber begann das kalte Fieber aufzusteigen. Das Feuer.
Die Macht.
Er hatte sie lang nicht mehr eingesetzt. Die Angehörigen seines Volkes befolgten seine Anweisungen auch so, stellten die Weisheit seiner Entschlüsse schon seit vielen Jahren nicht mehr infrage. Vermochte er überhaupt noch kontrolliert damit umzugehen? Durfte, konnte er die Macht auf die
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