PR NEO 0039 – Der König von Chittagong
sah schrecklich aus. Müde und zerknittert, mit Augenringen, die ganz und gar nicht zu ihrem jugendlichen Alter passten. »Erstens bist du nicht mein Vater, John Marshall, und schon gar nicht mein Vorgesetzter. Oder gibt es offizielle Unterlagen darüber ...?«
»Nein. Aber du bist freien Willens in Terrania und im Lakeside Institute. Du genießt besondere Vergünstigungen, bist aber auch verpflichtet, besondere Pflichten zu erfüllen. So ist es abgemacht.«
»Die Beschwerden kommen sicherlich von einer dieser eingetrockneten Mumien im Central. Irgendein Kurpfuscher möchte nicht, dass ich mich in seine Arbeit einmische. Stimmt's?«
»Die Mumie lasse ich gelten, weil wir von Fulkar sprechen. Aber er beschwert sich nicht darüber, dass du ihn behinderst, sondern dass du dich verausgabst. Er sorgt sich um dich ...«
»Unsinn! Wenn er könnte, wie er wollte, würde er mir den Kopf abschneiden und in meine Gehirnwindungen reinkriechen, um festzustellen, warum ich so bin, wie ich bin.«
»Nun ja – das könnte hinkommen.« Marshall grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich habe dein Weg-Zeit-Diagramm der letzten beiden Tage erstellen lassen und festgestellt, dass du so gut wie gar nicht geschlafen hast. Du treibst Schindluder mit deinem Körper, Sue.«
»... sagt ausgerechnet John Marshall! Der Mann, von dem behauptet wird, dass er vor dem Einschlafen keine Schäfchen zählt, sondern seine Schutzbefohlenen, seine Mehrbegabten, wie wir Mutanten neuerdings genannt werden. Und wenn seine Herde seit der letzten Schlafperiode nicht um mindestens ein Mitglied angewachsen ist, steht er wieder auf.«
»Erzählt man das? – Nun, die Leute haben recht. Ich habe meine Fühler in alle Richtungen ausgestreckt und lasse unter Hochdruck nach Menschen wie euch beiden suchen. Weißt du auch, warum?«
»Weil du Angst hast, dass noch einmal so etwas wie mit Iwanowitsch Goratschin passieren kann. Dass irgendein Idiot auf die Idee kommt, uns zu missbrauchen und zu – wie sagst du? – instrumentalisieren.«
»Ganz richtig. Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst. Ich tue es, weil ich mithelfen möchte, dass Perry Rhodans Ideen verwirklicht werden.« Das stimmte nur zum Teil. Eigentlich wollte er die Kinder retten. Kinder wie Sid und Sue, die zwar glaubten, bereits erwachsen zu sein, aber noch längst nicht in der Realität angekommen waren. »Ich gehe übrigens regelmäßig zur Vorsorge. Wenn man feststellte, dass ich Ruhe benötigte, würde ich mich an die Weisungen der Ärzte halten.« Was bist du bloß für ein Lügner, John!
»Jaja, das soll ich dir glauben ... Also sag schon, warum hast du mich herbringen lassen.«
»Ich verschreibe dir hiermit eine Erholungspause von mindestens zehn Stunden.«
»Gerne. Sid bringt uns nach Hause und ...«
»Nein. Du wirst unter Aufsicht bleiben, und zwar hier.« Er wandte sich dem jungen Burschen zu. »Tut mir leid, Sid. Aber ich weiß, wie schwer du dir tust, Sue einen Gefallen abzuschlagen. Sie wickelt dich in null Komma nichts um einen Finger.«
Sid trat von einem Bein aufs andere. »Na ja ...«, sagte er und verstummte dann verlegen.
»Es ist besser, wenn du nun gehst, Sid. Ich rufe dich, sobald ich dich wieder benötige. Danke für deine Hilfe!«
»Gern geschehen, John.« Er hob die Hand, als befände er sich im Schulunterricht, und wollte eine Frage stellen. »Hast du morgen ein paar Minuten Zeit für mich? Bloß zum Quatschen?«
»Natürlich, Sid. Für dich immer.«
Der Junge grinste zufrieden. Er winkte zum Abschied in seiner typischen linkischen Art und verschwand dann im Nichts, begleitet von goldenem Funkenschlag.
»Möchtest du mich in Gewahrsam nehmen, John?«, empörte sich Sue, ohne auf den Abschied ihres besten Freunds zu achten. »Du bist noch viel gemeiner, als ich's dir zugetraut hätte!«
»Du bist auch nicht mehr das reizende Mädchen, um das ich mich im Shelter kümmerte. Heute bist du ein stacheliges Wesen mit einem grässlichen Dickkopf.«
»Ich bin erwachsen geworden!«
»Du bist einige Monate älter und bist zugegebenermaßen gereift. Aber du hast noch einen weiten Weg vor dir, um ...«
»Ja?«
Um mir eines Tages in diesem Affenstall zu helfen und mich zu entlasten, wollte Marshall sagen, ließ es aber dann bleiben. Er hatte kein Recht, über die Zukunft des Mädchens zu bestimmen. Höchstwahrscheinlich hatte sie ganz andere Ansichten als er und wollte keinesfalls zwischen Verwaltungs- und koordinativen Aufgaben versauern, um sein Nervenkostüm
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