PR NEO 0046 – Am Rand des Abgrunds
einen Kopf kleiner war als der Lotse, machte das Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlte, den Unterschied wett.
»Ich habe ein paar Pflanzensamen vom Planeten Sand«, sagte sie. »Sie werden eine gute Ergänzung sein zu der Schönheit, die wir eben betrachten durften.«
Rhodans Blick glitt von Matsu zu dem hinter ihr stehenden Iwan Goratschin. Gegen die zierliche Frau wirkte der Zweimetermann noch größer, aber zugleich ließ gerade seine Länge ihn umso ausgezehrter erscheinen. Seit dem übermäßigen Einsatz seiner Mutantengabe auf Siron schlackerte seine Kleidung um seinen Körper, als hätte er dabei von seiner eigenen Materie gezehrt. Zumindest konnte er wieder ohne Hilfe auch über längere Zeit stehen und gehen.
Goratschin hatte Ishy Matsu kurz vor dem Abflug von der Erde einige frisch von einer Wiese gepflückte Blumen mitgebracht. Sie hatte sie in dem Büchlein gepresst, um sie als Erinnerung aufzubewahren. Nun opferte sie dieses Andenken, nachdem sie an Bord der TIA'IR festgestellt hatten, dass einige der Blüten intakte, lebensfähige Samen enthielten – genau das, was als Beitrag zum Leben auf Tinios von den Gästen erwünscht war.
Der Lotse löste den Blick von Chabalh. Er streckte der Asiatin die Hand entgegen. »Geben Sie es mir, bitte!«
Zögernd löste Matsu ihre Arme und reichte ihm das Büchlein. Als der Lotse es nahm und durchsah, schlug es von selbst dort auf, wo die Blumen eingelegt worden waren. Er schloss es sorgfältig, nickte der Asiatin zu und musterte den Riesen hinter ihr nur kurz, bevor er sich abwandte.
»Folgen Sie mir!«
Rhodan winkte die anderen an sich vorbei. Er hatte bemerkt, dass Atlan noch sitzen geblieben war. Der Arkonide beschäftigte sich mit seinem Kommunikationsarmband und hatte den Geschehnissen um sich herum wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst als der Aufbruch begann, stand er ebenfalls auf. Rhodan wartete auf ihn und verließ das Boot gemeinsam mit dem Arkoniden.
»Haben Sie etwas herausgefunden, was für uns nützlich sein könnte?«, fragte er.
Atlan warf ihm einen Blick zu. »Ich habe den hiesigen Informationsknoten genutzt, um allgemeine Nachrichten abzurufen und den Status des nächsten Konvois. Es sieht gut aus. Zurzeit kommen recht viele Schiffe an.«
»Irgendwelche Hinweise, warum sie uns von unserem Schiff geholt haben?«
»Nein. Im Nachrichtennetz wird die Zeremonie zwar erwähnt, aber es gibt keine Beschreibung – es scheint, sie ist immer irgendwie anders. Den Lotsen ist es aus religiösen Gründen wohl recht wichtig, so viele ihrer Kunden wie möglich an der Zeremonie teilnehmen zu lassen. Sie glauben, dass die Passage umso sicherer ist, je mehr der beteiligten Personen Anetis vorgestellt wurden.«
»Ich habe immer noch meine Probleme damit, dass Khe'Rhil klang, als wolle er uns einer realen Person vorstellen, nicht einem Gott.«
»Wer sagt, dass ein Gott nicht auch real sein kann? Sie würden staunen, wie viele Ihrer mythischen Helden es wirklich einmal gegeben hat. Warum also nicht auch einen Gott?«
»Wie viele dieser Helden waren Sie?«
Der Arkonide schmunzelte. »Ich habe keinen Wert darauf gelegt, in die Geschichtsschreibung von euch Barbaren einzugehen.«
»Aber Sie haben welche von ihnen gekannt?«
Atlan hob sein Kommunikationsarmband und tippte dagegen. »Ich denke, es gibt im Moment Wichtigeres als Lagerfeuergeschichten über die Raubzüge griechischer Krieger oder Marco Polos Reisen.«
»Irgendwann würde ich die trotzdem gerne hören«, sagte Rhodan. »Aber Sie haben recht, im Moment gibt es Wichtigeres. Wenn Sie mehr herausfinden, geben Sie mir Bescheid.«
Der Arkonide nickte nur und sah wieder auf das Holodisplay des Armbands.
Sie hatten inzwischen in schwindelerregender Höhe das Schiff über einen Tunnel verlassen, der sie direkt in einen hell erleuchteten, breiten Gang führte. Khe'Rhil blieb an einem Absatz stehen, der den Gang auf seiner ganzen Länge in zwei Hälften teilte. Auf dem niedriger liegenden Teil glitten rechteckige Scheiben mit mehreren Sitzen darauf den Gang in beide Richtungen entlang.
Eine leere Scheibe mit acht Sitzen kam aus einer nahen Nische und hielt vor ihnen. Khe'Rhil betrat sie und setzte sich vorne neben eine Kontrollsäule. Die anderen verteilten sich auf die restlichen Plätze. Chabalh sprang auf den Sitz neben dem Lotsen, als hoffe er, diesen dadurch besser überwachen zu können.
Belinkhar studierte ein Infopad, das sie unterwegs von einem Ständer genommen hatte. Als Rhodan sich neben
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