PR NEO 0047 – Die Genesis-Krise
Reginald Bull, der letzte Teilnehmer dieser Krisensitzung, hatte bislang noch kein Wort beigesteuert. Er starrte verbissen vor sich hin und sah aus, als würde er gleich in einem Wutausbruch explodieren.
Eine weitere Person hätte Mercant gerne im Raum gesehen, aber Iga war draußen geblieben und inzwischen irgendwo in der Stadt unterwegs. Sie musste nachdenken, hatte sie gesagt; zweifellos eine vernünftige Entscheidung, denn es gab keinen objektiven Grund, sie an dieser internen Besprechung teilnehmen zu lassen. Es wäre ihm schwergefallen, die anderen davon zu überzeugen.
»Fassen wir also zusammen«, sagte Mercant, dem der Kopf von den Informationen der letzten Minuten schwirrte. Er fühlte sich unendlich erschöpft, und es wurde immer schlimmer. Er vermochte sich kaum noch zu konzentrieren, hoffte nur, dass es ihm niemand anmerkte. Vielleicht hätte er seine Erkältung doch auskurieren sollen, wie der Arzt es ihm schon vor Tagen empfohlen hatte. Allerdings gab es keinen ungünstigeren Zeitpunkt dafür als diesen. »Die Quarantäne durch den Schirm funktioniert. Kein Mutant kann Lakeside verlassen.«
Bull schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser klirrten aneinander. »Sie funktioniert eben nicht! Oder sehen Sie Tako Kakutas Tod als einen Beweis an, dass ...«
»Sie funktioniert sehr wohl, Reg!«, warf Dr. Frank Haggard mit ruhiger Stimme ein.
Wieder fiel Mercant auf, dass sich der Nobelpreisträger wie ausgewechselt verhielt. Bis vor wenigen Stunden hatte sich Haggard in Edinburgh aufgehalten, wo eine Auswahl von Menschen sich ein Rugby-Match mit einer Naat-Mannschaft geliefert hatte. Was als private Herausforderung auf einem staubigen, unbefestigten Platz vor der Stadt begann, war zu einem Medienevent geworden, das die halbe Welt verfolgte; die Nachberichterstattung geisterte immer noch durch zahllose Sender. Haggard, so war es Mercant erschienen, hatte in den vergangenen beiden Wochen nur das Match im Kopf gehabt, war verjüngt gewesen, verspielt und überdreht. Das Rugby-Spiel hatte mit einem sensationellen Unentschieden geendet. Ein Triumph, den Haggard nur kurze Zeit auskosten durfte, ehe ihn – und die ganze Menschheit mit ihm – die Realität unbarmherzig wieder eingeholt hatte. Unter seiner kühlen Oberfläche brodelte es; um das zu erkennen, war Mercant Menschenkenner genug.
»Und gerade Tako hat das auf traurige Art bewiesen«, fuhr der Mediziner fort. »Dass er überhaupt durch den Schutzschirm gebrochen ist, führe ich auf eine einmalige Kombination der Ereignisse zurück. Ich vermute, seine Parafähigkeit ist vor dem Sprung spontan stark angestiegen, was überdies sein Urteilsvermögen getrübt hat. Allan hat uns berichtet, dass Tako sich zuletzt irrational verhalten hat. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten ...« Haggard stockte und tippte mit der Spitze des Kugelschreibers auf seinen Notizblock. »Nun, er ist leider das erste Opfer dessen geworden, was ich bereits während meines ersten nächtlichen Anrufs angekündigt habe: Tako Kakuta ist sozusagen Amok gelaufen. Ein Wunder, dass nur er selbst dabei gestorben ist.«
»Warum klingt das nur so nüchtern, als hätten wir es hier mit einem wissenschaftlichen Untersuchungsobjekt zu tun?«, ätzte Bull. »Für mich war er zuerst ein Mensch!«
»Ich bedauere seinen Tod außerordentlich«, stellte Dr. Haggard klar. »Mehr noch, ich gebe mir die Schuld daran, und du kannst mir glauben, Reg, dass mir das keineswegs gleichgültig ist! Aber als Wissenschaftler muss ich in dieser Situation einen Schritt zurücktreten und die Lage aus einer gewissen Distanz betrachten. Nur so kann ich versuchen, sämtliche Mutanten zu retten. Diesen Wahnsinn zu beenden. Persönliche Befangenheit kann ich mir nicht leisten. Die Zeit dafür wird kommen, aber sie ist nicht jetzt.«
Fast richtig, dachte Mercant, der es aufgrund der Erfahrung auf seinem Gebiet genauso beurteilte. Allerdings trug nicht Haggard die Schuld am Tod Tako Kakutas, sondern er. Schließlich war nur er, Mercant, vor Ort dabei gewesen. Er hatte versagt. Vielleicht wäre einem klügeren Mann eine andere Lösung eingefallen. Oder ihm selbst in weniger erschöpftem Zustand. Obwohl es nicht sinnvoll war, über solche verschenkten Möglichkeiten zu spekulieren, schmerzte die Überlegung.
Fulkar trank einen Schluck. Als er das Glas abstellte, quoll etwas Dunst über die Ränder und floss bis auf den Tisch, wo er sich verflüchtigte. »Sehr richtig, Mister Haggard. Und wir können diese
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