PR NEO 0047 – Die Genesis-Krise
kam nicht mehr nahezu pausenlos zu Explosionen. Die Hälfte der Gebäude bestand nur noch aus Ruinen, und soweit es die Flugdrohnen aus der Luft aufzeichneten, verteilten sich die Eingeschlossenen in Grüppchen auf dem gesamten Gelände. Vereinzelt kämpften sie gegeneinander; über die Gründe konnten sie von außen nur spekulieren.
Homer G. Adams als Administrator der Terranischen Union hatte um 12 Uhr mittags einen Befehl erteilt, der ihm schwergefallen war. Die achthundertfünfzig Meter durchmessende VEAST'ARK war am dem Institut gegenüberliegenden Ufer des Goshun-Sees niedergegangen, dabei so weit wie möglich von Terrania entfernt. Das Schiff richtete seine Geschütze auf Lakeside. Ein Befehl von Adams genügte, und der Naat Novaal würde nicht zögern, das ganze Gebiet samt allen dort Eingeschlossenen in einen mit Glut gefüllten Krater zu verwandeln.
Die Botschaft dahinter war unmissverständlich: Sollte die Lage völlig außer Kontrolle geraten und die Mutanten den Schutzschirm doch auf eine noch unbekannte Art überwinden können, würden die Waffen des Raumers sprechen. Der VEAST'ARK war es möglich, binnen Sekunden das gesamte Gelände des Instituts zu pulverisieren und damit die Bedrohung auf radikale Weise zu beenden. Niemandem war wohl bei dieser Vorstellung, aber diese letzte Sicherheitsvorkehrung war der Meinung aller Entscheidungsträger nach notwendig.
Wie viele Mutanten inzwischen in dem Inferno unter der Schutzkuppel gestorben waren, wusste keiner. Die Eingeschlossenen verweigerten jede Kommunikation. Nur auf eine Weise erfuhr Mercant etwas mehr. Mithilfe des verschlüsselten Institutsfunks verbreiteten die Hershell-Zwillinge aus Lakeside einige Informationen für die geflohenen Geschwister, wie die beiden sie nannten. Mercant hatte überlegt, die von den Zwillingen neu kodierte Frequenz zu blockieren, sich aber dagegen entschieden. Natürlich hatten die Spezialisten in Terrania die Kodierung längst geknackt, und solange die Zwillinge auf diese Weise versuchten, die noch freien Mutanten zu informieren, konnten er und seine Leute mithören. Die Mutanten wiederum befürchteten offenbar genau das, sodass sie als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme die ganze Zeit über keine sensiblen Details preisgegeben hatten.
Sieben Mutanten befanden sich noch immer auf freiem Fuß; von all den bislang unbekannten parabegabten Menschen weltweit abgesehen.
Mercant ließ deswegen sämtliche Nachrichtenstreams überwachen und zapfte jede nur erdenkliche Geheimdienstquelle an. Er suchte nach Berichten über unerklärliche Explosionen, die womöglich auf einen Amok laufenden Mutanten zurückgingen.
Als größte Gruppe hatten sich Ras Tschubai, Olf Stagge und die von ihnen entdeckte chinesische Frau in Jakarta dem Zugriff durch die Sicherheitsmannschaft entzogen. Der BIN hatte bitter versagt – Mercant hatte seinen Ansprechpartner am Pod zurechtgestutzt. Ein bekannter Teleporter musste binnen eines Lidschlags außer Gefecht gesetzt werden, nicht mit einem einströmenden Betäubungsgas! Ein dilettantischer Fehler, der sich nur damit erklären ließ, dass die indonesischen Profis über keine Erfahrung im Umgang mit Mutanten verfügten.
Mercant war inzwischen nach Terrania zurückgekehrt und saß mit den anderen Verantwortlichen für dieses Desaster an einem Tisch im Besprechungsraum im Erdgeschoss des Stardust Towers; dort, wo sie am schnellsten den Turm wieder verlassen konnten. Er kam sich wie ein Verschwörer vor.
Einige Gläser und ein paar Flaschen Wasser standen unangerührt in der Mitte der schwarzen Platte. Grelles Licht leuchtete den Raum bis in den letzten Winkel aus.
Dr. Frank Haggard kritzelte auf einem Notizblock, der bereits mit Formeln und Skizzen übersät war. Neben dem Block lag der Brief, dessen genauen Inhalt Mercant in den nächsten Minuten endlich zu erfahren hoffte: ein einfacher weißer Umschlag, auf dem in einer markanten Handschrift die verblüffenden Worte standen: Für Doktor Haggard. Von Doktor Haggard.
Neben dem Nobelpreisträger für Medizin saßen Terranias Bürgermeister Bai Jun und Homer G. Adams, der Administrator der Terranischen Union. Fulkar trank als Einziger etwas; er zog hin und wieder ein Röhrchen aus einer Tasche seiner Hose und ließ einige Tropfen einer grellblauen Flüssigkeit in sein Wasser fallen. Wann immer er es tat, wallte weißlicher Nebel über dem Glas und verströmte einen fruchtigen Geruch. Mercant gegenüber saß Dr. Eric Manoli, der übermüdet aussah.
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