PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder
eingeht?«
Thinche sah Rhodan an, als habe dieser etwas unglaublich Dummes gesagt. »Wie soll der Geist im Schönen Land ohne Körper überleben? Natürlich schicken wir ihn hinterher. Der Khertak gibt, der Khertak nimmt. Das ist der ewige Lauf der Dinge. Er bringt Wasser, Fische, die Gaben von flussaufwärts.« Der Hochvater stockte, als seien ihm unangenehme Gedanken gekommen. »Und er trägt uns mit sich, wenn es für uns Zeit ist, weiterzuziehen.«
Rhodan suchte aus dem Kleiderstapel seine Uniform heraus, die anderen taten es ihm gleich. Der Stoff kratzte und roch nach Nuss, aber wenigstens standen sie nicht mehr in Decken gehüllt herum.
Iwan Goratschin legte Ernst Ellerts Kleidung neben die Matte. Der Deutsche stöhnte und drehte sich im Schlaf um.
»Warum haben Sie uns eingesperrt? Sind wir Ihre Gefangenen?«, fragte Rhodan.
»Natürlich sind Sie das nicht, wo denken Sie hin? Es geschah nur zu Ihrem Schutz. Die Gegend ist tückisch in der Dunkelheit.«
Die Gegend? Oder die Nethor, die sie bei ihrer Ankunft misstrauisch beäugt hatten?
»Was ist mit unseren anderen Sachen? Dem Tornister? Dem Stoff darin? Den Trinkflaschen?« Den Strahlern? »Wann bekommen wir sie wieder?«
»Gar nicht. Sie stehen als Gaben von flussaufwärts den Nethor zu. So lautet das Gesetz.«
Atlan machte einen Schritt auf Thinche zu. Rhodan wusste genau, was dem Arkoniden durch den Kopf ging: das Tarkanchar. »Das ist Diebstahl!«
»Nicht nach dem Recht der Nethor«, erwiderte der Hochvater. »Was der Khertak bringt, gehört uns Khal.« Nach einer kurzen Pause fügte er leise hinzu: »Oder den Thas.« Deutlich lauter und im Brustton der Überzeugung sagte er: »Das heißt, dass nach unserem Gesetz sogar Sie uns gehören.«
Rhodan musste an Sergh da Teffron denken, den ein Nethor in die Mangel genommen hatte. In Ausübung seines vermeintlichen Eigentumsrechts? »Wir sind Besucher in Ihrem Land und respektieren dessen Regeln. Dennoch sind die Dinge, die Sie behalten haben, sehr wichtig für uns. Und sie gehören uns.« Ihm fiel auf, dass Thinche ihnen mit den Uniformen ausgerechnet die Sachen zurückgegeben hatte, die sie selbst gestohlen hatten. Was für eine Ironie. »Es handelt sich nicht um Gaben Ihrer Götter, sondern ...«
»Was reden Sie da von Göttern?«, unterbrach der Hochvater ihn mit barschem Ton.
»Nun, das Treibgut, das der Fluss euch bringt«, sagte Perry vorsichtig. »Glauben Sie nicht, dass es von Gött...«
»Natürlich nicht! Es stammt von denen, die flussaufwärts leben. Den Arkoniden. Oder den Methans, falls die den Krieg gewonnen haben, was Crysalgira verhüten möge.«
Die Überraschungen nahmen kein Ende. »Sie kennen Crysalgira?«
»Selbstverständlich. Sie lebt flussaufwärts und beschützt uns vor den Methans. Warum reagieren Sie so verwundert? Sie kommen doch selbst von dort oben!«
Das war der letzte Beweis, dessen es gar nicht mehr bedurft hätte. Chergosts Aussage, flussabwärts liege Artekhs Vergangenheit. Die zehntausend Jahre alte Sprache, die die Nethor sprachen. Die Tatsache, dass ihnen Crysalgira ein Begriff war und dass sie von dem Krieg gegen die Methans wussten, aber nicht, wann und wie er endete. Bei der unterirdischen Kultur handelte es sich wirklich um Abkömmlinge der früheren Bevölkerung Artekhs, vermutlich Flüchtlinge. »Ich bin überrascht, dass Sie von ihrer Geschichte wissen.«
»Glauben Sie, weil wir seit Millionen von Zyklen im Zweistromland leben, sind wir verblödet? Es ist die Aufgabe des Geschichtswahrers, die Historie der Nethor lebendig zu halten.«
»Wenn Sie wissen, woher wir kommen«, warf Belinkhar ein, »wollen Sie dann nicht erfahren, wie der Krieg gegen die Methans ausgegangen ist?«
»Nein.«
»Nein?«
»Nichts, was Sie sagen können, würde uns davon überzeugen, dass Sie die Wahrheit sprechen.«
»Ich verstehe. Aber wollten Sie nie nach Hause zurückkehren?«
»Das Zweistromland ist unser Zuhause. Was flussaufwärts liegt, haben wir zurückgelassen, was flussabwärts liegt, noch nicht erreicht. So war es und so muss es sein. In früheren Tagen mag die Versuchung groß gewesen sein, aber wir haben die Strafe dafür erhalten und unsere Lektion gelernt.«
Rhodan erkannte, dass sich eine zehntausend Jahre alte Geschichte nicht so einfach wegwischen ließ. Die Länge dieser Zeitspanne wurde ihm erst bewusst, als er in der Menschheitsgeschichte so weit zurückdachte. Hatten nicht um das Jahr 8000 vor Christus in einem anderen Zweistromland –
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