PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder
um zu erkennen, dass es sich um Blut handelte. Der Nethor mit der bemerkenswerten Frisur bewegte die Lippen und verzog das Gesicht. Offenbar brüllte er den Arkoniden an. Er hob die Hand, ballte sie zur Faust, ließ sie nach unten sausen – und die Vision brach ab.
Ishy Matsu stöhnte auf. »Tut mir leid, mehr geht nicht.«
»Warum?«, fragte Iwan.
»Ich weiß es nicht. Ich fühle mich ausgeruht, aber meine Kräfte nicht. Ich glaube, wir haben nicht annähernd so lange geschlafen, wie wir denken. Zwei oder drei Stunden. Höchstens!«
»Egal«, sagte Rhodan. »Wenigstens wissen wir jetzt, dass die Hand des Regenten nicht entkommen ist.«
»Und was uns demnächst blühen könnte«, warf Belinkhar ein. »Wer war der Nethor mit der Kammfrisur? Hat den jemand während unseres Herwegs schon gesehen?«
Alle verneinten. Sogar Chabalh. Nur Ellert äußerte sich nicht, weil er immer noch schlief. Das beinahe Ertrinken musste ihn wesentlich mehr angestrengt haben als den Rest der Gruppe, vielleicht weil es ihn zusätzlich Kraft kostete, die Körperlichkeit zurückzugewinnen. Aber hätte er eigentlich ertrinken können? Wo er schon einmal gestorben war?
Rhodan beschloss, ihn weiter ausruhen zu lassen. Aber wenn er aufwachte, würde er ihnen einige Fragen zu beantworten haben. Zum Beispiel was er mit seiner kryptischen Aussage meinte, der Regent wäre gebraucht worden. Wofür?
»Vielleicht hat sich da Teffron bockiger als wir gezeigt«, vermutete Matsu. »Deshalb behandeln sie ihn anders.«
»Wir werden es herausfinden«, versicherte Rhodan.
»Da draußen tut sich etwas«, sagte Atlan, ohne sich vom Fenster abzuwenden.
Rhodan stellte sich neben den Arkoniden und lugte durch das Guckloch hinaus. Vier mit Speeren bewaffnete Nethor gingen langsamen Schrittes zu dem Gestell am Flussufer, das er für ein Sprungbrett gehalten hatte.
Abschiedssteg, fiel ihm ein. So hatte Thinche es genannt.
Zwischen sich trugen sie eine Bahre. Auf ihr lag in ein prächtiges Gewand aus Blättern und Blüten gehüllt der Nethor, der beim Kampf an der Flussgabelung das Leben verloren hatte. Der Prozession folgte ein gebückt gehender Greis mit einem bodenlangen Umhang aus Federn.
Priester, war das erste Wort, das Rhodan in den Sinn kam.
Die Speerträger stiegen die Stufen zum Abschiedssteg hinauf, hielten die Bahre zwischen ihnen aber stets waagrecht. Zwei weitere Nethor tauchten neben dem Greis auf, stützten ihn und halfen ihm, die Treppe zu erklimmen.
Oben angekommen, legten die Leichenträger die Bahre auf dem Steg ab, hielten den Speer diagonal vor die Brust und blickten flussabwärts. Der Federmann baute sich dahinter auf, hob die Arme und sprach einige Worte, die das Rauschen des Stroms davontrug. Synchron stellten die Speerträger ihre Waffen neben sich auf den Steg.
Die Zeremonie zog sich etliche Minuten hin, in denen es zu einem immer schnelleren Wechsel zwischen Ansprachen des Federpriesters und einer beeindruckenden Choreografie wirbelnder, stampfender und gegeneinanderschlagender Speere kam.
Zwei der Speerträger griffen das hintere Ende der Bahre, stellten sie schräg, und die Leiche rutschte in den Fluss.
»Wir schicken unseren Freund den Khertak hinab, in die unbekannten Gefilde des Schönen Landes. Sein Gewand aus Im-Geiste-nie-vergessen wird ihm Einlass gewähren.«
Rhodan drehte sich um und sah Thinche in der Tür stehen. Offenbar hatte ihn die Zeremonie so gefesselt, dass er nicht einmal das Lösen der Kette gehört hatte. Auf den Armen trug der Hochvater ihre getrocknete Kleidung.
»Im Geiste nie vergessen?«, fragte er.
»Die in das Abschiedsgewand geflochtenen Blumen. Die Näher haben während des ganzen Dunkelzyklus daran gearbeitet, um Vhyrno die Reise zu ermöglichen.«
»Ins Schöne Land.«
»So ist es.«
Ein Glaubensmythos? Oder Realität und somit eine Möglichkeit, aus der Heimat der Nethor zu entkommen? »Wie ist es dort?«
Thinche legte die Kleidung seiner Gäste auf den Boden. »Was passiert dort, wo Sie herkommen, mit jemandem, der stirbt? Zieht sein Geist nicht weiter?«
Das kommt darauf an, wen man fragt, dachte Rhodan. Da er dem Hochvater aber keinen Vortrag über irdische Religionen halten wollte, sagte er nur: »Manche glauben daran, andere nicht.«
»Wissen die, die daran glauben, wie es dort ist, wohin der Geist zieht?«
»Nein.«
»Sehen Sie? So wie bei uns. Wir sind uns nicht unähnlich.«
»Warum übergeben Sie den Körper dem Strom, wenn doch sein Geist ins Schöne Land
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