PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder
zögerte. Sie warf einen kurzen Blick zu Thinche und einem ihrer Gehilfen. Gharjochun hatte schon genügend Nethor gesehen, um einen zu erkennen, der glaubte, mit seiner Meinung allein dazustehen. »Die Lichter deuten darauf hin, dass die Geräte funktionstüchtig sind.«
»Oder dass der vorherige Besitzer farbige Lichter mochte«, brach es aus einem der Gehilfen hervor, einem älteren, glatzköpfigen Mann namens Wofkurep, der sich nach dem Tod von Mallyras Vorgänger Hoffnung auf den Posten gemacht hatte. Doch Thinche hatte anders entschieden und die junge Frau berufen.
Der Geschichtswahrer hob die Hand. »Er soll ihr nicht ins Wort fallen!«
»Entschuldigung.«
»Weiter!«, forderte er Mallyra auf.
»Wir wissen heute nicht mehr, wozu die Vorväter solche Gegenstände benutzten oder ob sie sie überhaupt kannten. Vielleicht handelt es sich um Neuentwicklungen. Aber ich bin überzeugt, dass man diese Flussgeschenke für den Zweck einsetzen kann, für den sie gedacht sind.«
»Welcher Zweck könnte das sein? Hegt sie eine Vermutung?«
»Das kleinere Geschenk sieht aus wie ein Schlagwerkzeug. Mit dem längeren könnte man Früchte von einem Baum schütteln oder es in den Boden drillen und etwas daran befestigen.«
»Wozu dienen die Bügel?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat sie nicht damit experimentiert?«
Wieder zögerte Mallyra. »Nicht nach den Erfahrungen der letzten Zyklen. Der Khertak hat uns so häufig gefahrvolle Geschenke gebracht, die ihr Unheil erst entfalteten, wenn man sich ausgiebig mit ihnen beschäftigte. Ich habe es nicht gewagt.«
Gharjochun strich sich die Haare aus dem Gesicht, um seinen in vielen Unterweisungen perfektionierten strengen Blick auf Mallyra anzuwenden. »Aber ist es nicht die Aufgabe der Geschenkdeuterin, genau das zu tun?«
Verlegen schaute sie zur Decke. »Das ist richtig.«
Der Geschichtswahrer wandte sich Thinche zu. »Hat er die Fremden dazu befragt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Sie zeigen sich wenig hilfsbereit. Ich fürchte, wir dürften ihren Antworten nicht trauen, wären also ohnehin darauf angewiesen, es selbst zu probieren.«
»Was sagt er dazu?«, fragte Gharjochun den Gehilfen der Geschenkdeuterin, der ihr ins Wort gefallen war.
Wofkurep kam nach vorne. »Ich will Mallyra nicht zu nahe treten, aber wenn sie Angst vor den Gaben des Khertak hat, scheint sie mir als Geschenkdeuterin ungeeignet zu sein.«
»Ungeeigneter als er selbst?«
»Äh ... nun ... ja.«
»Weiß er, warum Thinche Mallyra und nicht ihn zum Deuter ernannt hat?«
Das Aderngeflecht unter Wofkureps Haut trat plötzlich markant hervor. »Weil sie mit ihm ... sie ... Nein, ich weiß es nicht. Ich habe eine Vermutung, will sie aber nicht äußern.«
»Dann will ich es ihm verraten. Er verfügt über große Erfahrung und untersucht in einem Zyklus mehr Geschenke als alle anderen. Doch darauf kommt es nicht an – und schon gar nicht darauf, damit zu protzen. Mallyra war die richtige Wahl. Sie mag zu vorsichtig sein, aber zugleich ist sie sorgfältig.«
»Aber ...«
»Stellen wir uns dennoch vor, er wäre der Geschenkdeuter«, sagte Gharjochun. »Wie würde er vorgehen?« Der Geschichtswahrer wies einladend auf den Tisch. »Vielleicht kann er uns von seinen Fähigkeiten überzeugen und Mallyra ablösen.«
Wofkurep zögerte kurz, dann trat er zu den Flussgaben und nahm den kleineren der Gegenstände. Er wog ihn in der Hand, strich mit den Fingern darüber, ertastete das Material. »Zunächst versuche ich, ein Gefühl für das Geschenk zu entwickeln. Oft ergibt sich die Antwort auf die Frage, wie man etwas halten muss, von selbst.«
Tatsächlich lag ihm das Stromgeschenk nur kurz darauf so gut in der Hand, dass es einfach richtig sein musste. Die Finger umschlossen den kürzeren Teil so, dass das längere Ende nach vorne oben aus der Faust ragte.
»Sollte diese Haltung die richtige sein, legt die Position des Bügels nahe, dass man ihn mit dem Zeigefinger bedient.«
Er drehte das Geschenk so, dass er es gut betrachten konnte.
Gharjochun fiel auf, wie unruhig Thinche und Mallyra wurden. Keine Frage, sie hielten den Gegenstand für gefährlich. Der Geschichtswahrer schloss sich dieser Auffassung an. Allerdings ging sein Leben ohnehin dem Ende entgegen. Da kam es auf ein paar schmerzhafte Zyklen weniger auch nicht mehr an. Deshalb saß er entspannt auf seinem Sessel und beobachtete Wofkurep, wie er mit dem Geschenk herumhantierte.
»Der Zeigefinger schmiegt sich natürlich um den
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