PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium
schrie auch Argha-cha. Dass ihre Großmutter eine gute Frau gewesen war. Dass die Mongaal niemals eine klügere Vorreiterin gehabt hatten. Dass Etor-tai gestorben war, wie es einer Kriegerin anstand. Dass sie nicht verrückt gewesen war. Niemals!
Keiner beachtete das Mädchen. Das Trauerlied hatte sie so heiser gemacht, dass sie sich nicht sicher war, ob sie ihre eigene schwache Stimme nur in Gedanken vernahm.
Sie wandte sich an Echrod-or, um seine Hand zu nehmen, von seiner Stärke zu schöpfen. Ihre Bewegung ging ins Leere. Der Geschichte-Erzähler hatte einige Schritte entfernt von ihr einen Holzblock erklommen und versuchte, sich mit rotem Kopf Gehör zu verschaffen.
Argha-cha war alleine. Das Mädchen drückte die Hände gegen die Ohren. Vergeblich. Das Geschrei drang hindurch, bohrte sich in ihre Gedanken.
Sie stieß die Kriegerin neben sich zur Seite und drängte durch die Menge zum Ausgang. Draußen holte sie tief Luft, ignorierte die neugierigen Blicke der Wartenden und rannte weiter.
Irgendwohin. Nur weit weg.
Glaubte sie. - Ihre Füße trugen sie mit einer Zielstrebigkeit, als gehorchten sie nicht mehr ihr, sondern einer fremden Macht, zum Zelt der Vorreiterin.
Es kauerte verlassen in der Mittagssonne, neben ihm ragte das Himmelszelt auf. Ohne zu zögern lief Argha-cha zwischen den beiden Feuern am Eingang hindurch und betrat das Innere. Sie hielt an. In der Mitte des Zelts brannte das ewige Feuer und verströmte den würzigen Grasduft, der nur dem ihrer Großmutter zu eigen war. Einen Augenblick lang, als sie den vertrauten Geruch tief in sich einsog, war es Argha-cha, als wäre Etor-tai noch am Leben.
Argha-cha blickte sich um. Das Menschbild stand an seinem Platz, eine leere Schale zu seinen Füßen. Wie üblich verhüllte das Tuch es vor fremden Blicken. Das Mädchen trat auf das Menschbild zu.
»Etor-tai? Etor?« flüsterte sie vorsichtig. »Bist du da drin. irgendwo?« Argha-cha nahm ihren ganzen Mut zusammen, packte den Saum des Tuches mit beiden Händen und zog es herunter.
Sie starrte in große, angsterfüllte Augen.
Der Kopf des Menschbilds war aus Holz geschnitzt. Es war eine grobe Arbeit. Sein Mund war ein einfacher, dünner Einschnitt im Holz, die Nase ein unregelmäßiger Klumpen. Es besaß keine Ohren. Und die Augen. sie waren mit weißer Farbe aufgemalt, in ihrer Mitte saßen zwei große, funkelnde Edelsteine, die Argha-cha an die aufgerissenen Pupillen eines Menschen erinnerten.
Der Körper des Menschbilds bestand aus einem Sammelsurium von Knochen und Metallteilen. Das Menschbild besaß keine Haut. An einigen Stellen konnte Argha-cha durch es hindurchschauen, aber merkwürdigerweise gelang es ihr nicht, in den Körper zu sehen. Die dunklen Löcher verloren sich in bodenloser Schwärze.
»Etor-tai.? Menschbild.?«
Sie versuchte Blickkontakt mit dem Menschbild aufzunehmen, doch seine Augen blieben leer, leblos. Argha-cha streckte den Arm aus und fasste das Menschbild an der Hand. Die Finger waren warm. Hatte das Feuer sie gewärmt?
»Bitte, sprich mit mir!« drängte sie. »Was immer du bist, Etor-tai glaubte, dass du sehr wichtig bist. Etor-tai hat sich nie geirrt! Bitte, hilf mir, hilf uns!«
Sie erhielt keine Antwort.
Von draußen drangen aufgeregte Rufe ins Zelt. Sie kamen näher.
»Bitte, tu etwas!«
Argha-cha baute sich unmittelbar vor dem Menschbild auf, packte es mit beiden Händen an den Schultern. Tränen traten ihr in die Augenwinkel. »Du dummes Ding! Rühr dich endlich!« Sie schüttelte das Menschbild hart. Der Holzkopf baumelte in einer nickenden Bewegung vor und zurück, als wolle er sie verspotten. »Hast du gehört? Wieso hast du nichts getan, wieso hast du Etor nicht gerettet? Sie hat dich erschaffen, du dummes nutzloses Ding! Wie kannst du nur so undankbar sein? Antworte mir, sonst.«
Sie zerrte jetzt so heftig an dem Menschbild, dass es beinahe aus der Halterung, die es aufrecht hielt, gerissen wurde.
Da hörte sie hinter sich das Schlagen von Metall. Sie ließ von dem Menschbild ab und wirbelte herum. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen in schweren Rüstungen war in das Zelt getreten. An ihrer Spitze stand Belhon-ang. Blut klebte an seiner Peitsche.
»Zur Seite mit dir, Mädchen«, forderte er sie auf. »Lass das einen Krieger erledigen.« Der Krieger hob vielsagend die Peitsche.
»Ihr wollt es umbringen?«
»Umbringen kann man nur, was lebt. Und jetzt zur Seite mit dir!«
»Nein!« Argha-cha baute sich schützend vor dem Menschbild auf. Vor
Weitere Kostenlose Bücher