PR Posbi-Krieg 02 - Stern der Laren
nicht mehr gehört, und ihre Bedeutung hat sich mir eben erst erschlossen. Solidarität. Ich verstehe. Zu wem? Und... welches Buch?«
In Wahrheit hielt sie sich fantastisch.
Sie war vier Jahre alt, rief Guilder sich in Erinnerung, als sie ihren Eltern entrissen, ins Internat der Heelghas gesteckt und dort einer Gehirnwäsche unterzogen wurde. Gleichwohl verfügt sie noch über einen derart umfangreichen, zumindest passiven Wortschatz. Das grenzt an ein Wunder.
Und dann auch wieder nicht. Denn sie war Clees Cantus Tochter, dessen Erbin und Nachlass. Wie Wilbur, der hoch intelligente und zugleich rührend tolpatschige Wilbur, die für das Imperium Altera so bedeutende Linie der Donnings fortführte, trug auch Tamra ein Vermächtnis in sich. Guilder Vinales hatte mit ihrem Vater schon Sträuße ausgefochten, als dieser noch ein kleiner Kadett gewesen war.
Der Charakter liegt im Blut, dachte der alte Kapitän.
Er hatte nie an diesen Spruch geglaubt, mit dem schon die Han-Dynastiker der Neugründerzeit ihre extrem chauvinistische Politik gerechtfertigt hatten. Aber als sich Tamra, mager und kahlköpfig, ihm entgegenreckte, sprungbereit, das dürre Gestell gespannt wie eine Feder, und ihn mit den Glutaugen ihres Vaters durchleuchtete, schoss es Guilder durch den Kopf: Ganz der junge Clees. Aufmüpfig. Trotzig. Widerständig, koste es, was es wolle.
Plötzlich spürte der Kapitän wieder die Gicht in seinen Knochen. Er sehnte sich nach dem altvertrauten Rollstuhl. Aber er hatte hier und jetzt noch eine Aufgabe zu bewältigen.
»Welches Buch? Dieses«, sagte er, die mühsam rekonstruierte, von vielen Händen abgeschmuddelte Ausgabe hervorholend. »Erwachen zum Tao<, von Lui I-Ming. Nach diesem antiken Philosophen haben wir unseren Bund benannt. Und mit Solidarität ist gemeint: zu den anderen Mitgliedern, zur alteranischen Menschheit, zur alten, wahren Heimat. Wir glauben an uns, an unsere Würde wie auch unsere Hoffnung, und dass uns diese von den Laren nicht genommen werden können, was auch immer die Unterdrücker versuchen. >Eins mit dem Großmut des Himmels und der Bescheidenheit der Erde<, wie der Weise sagt, werden wir aushalten, um dereinst das Joch der Knechtschaft abzuschütteln und erneut zu den Sternen aufzubrechen.«
Tamra blätterte stirnrunzelnd im Buch, las einige Seiten, lächelte, nickte und legte den Schwur ab.
Danach wandte sich Guilder auf Larisch an den hünenhaften, muskelbepackten Wu Pasterz. »Bei Ihnen verhält sich die Sachlage komplizierter. Sie haben eine Frau und drei Kinder, was den Intentionen der Freigeborenen widerspricht, aus denen sich der I-Ming-Bund zusammensetzt.«
»Ich kann und will mich nicht von meiner Familie abwenden, die ich von Herzen liebe«, sagte Wu, unbehaglich sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagernd. »Trotzdem würde ich gern bei euch, äh, Ihnen mitmachen, aus Überzeugung. Ich bin Alteraner, kein feiger, unterwürfiger Menschling.«
Tamra hatte die Hand gehoben; Guilder erteilte ihr mit einem Kopfnicken das Wort. »Frizzi und Wu wurden in sehr unreifem Alter von den Heelghas verkuppelt. Damals haben sie diesen Entschluss nicht aus freien Stücken getroffen, und keineswegs willentlich gegen die Freigeborenen, von denen sie ja noch gar nichts wussten. Dass ihre Beziehung dennoch so lange gehalten hat, darf man Wu wohl kaum zum Vorwurf machen. Deshalb finde ich, eine Ausnahmeregelung wäre gerechtfertigt, gerade wenn es um Menschlichkeit und Toleranz geht.«
»Wohl gesprochen«, sagte Guilder. »Ich persönlich schließe mich dieser Argumentation an. Aber wir müssen erst noch die Meinung der anderen, parallel tagenden Untergruppen einholen.«
Boten wurden ausgeschickt, und andere Freigeborene kehrten kurz darauf an deren Stelle zurück. Sie überbrachten die Nachricht, dass Wu willkommen sei. Der Hüne strahlte übers ganze pausbäckige Gesicht.
Nachdem auch er vereidigt war, klärte Guilder die neuen Mitglieder über ihre Pflichten auf. Zuallererst mussten sie ihr Alteranisch perfektionieren sowie noch eine zweite, geheime »Sprache« erlernen. Die Taoisten bedienten sich nämlich eines Kodes, um auch im täglichen Leben und in aller Öffentlichkeit Informationen austauschen zu können. Unverfänglichen, häufig gebrauchten larischen Wörtern war eine zweite Bedeutung zugeordnet. Wenn sich Mitglieder des I-Ming-Bunds unterhielten, und einer kratzte sich dabei am Ohrläppchen, kam der verborgene Sinn zum Tragen. Darüber hinaus gab es noch eine
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