PR TB 020 Das Gesetz Der Gläsernen Vögel
im
Gürtel fest. In der Scheide des rechten Stiefels stak das
Messer, der Griff war mit einem Band um die Kniekehle befestigt.
Über Thay, im beginnenden Licht des Morgens, zog der glä
serne Vogel seine lautlosen Kreise. Thay ging, um sich der größten
Gefahr zu unterwerfen, die Jäger seines Stammes je kennengelernt
hatten. Und - um ein Mann zu werden und eine Frau zu bekommen.
Srisupak mit den rötlichen Augen und dem langen Haar.
Der Knochenwall: Thay kroch vorsichtig, um nicht die Tiere zu
vertreiben, die an den Resten des erlegten Okpara fraßen. Jedes
der fürchterlichen Raubtiere wurde, wenn es gefangen war, an den
Boden gepflockt und den Aasfressern überlassen; so rächten
sich die Jäger für den Tod ihrer besten Männer. Thay
schlich geduckt an den kalkweißen, von Regen, Hitze und Stürmen
ausgebleichten Bögen der Rippen vorbei, vorbei an den dicken
Knochen der Läufe und den grinsenden Schädeln. Es war, als
fauchten die Bestien noch jetzt, da sie schon verwest waren.
Thay kannte keine Angst. Er richtete sich auf. Ein weißer
Cavan mit einem dunklen Fleck auf der Stirn witterte ihn, riß
den Schädel hoch und knurrte. Nach einer Weile zerrte das Tier
wieder an dem Okpara. Der Knochenwall war ein doppelter Schutz.
Warnung und Zaun zugleich… kein lebender Okpara kam der Insel näher
als bis vor diesen Wall, dann schauderten sogar diese Bestien zurück.
Kleinere, nicht weniger gefährliche Tiere wurden abgehalten,
teilweise kamen sie nicht durch den Wirrwarr von Gebeinen - teilweise
hielt sie der Geruch verwesenden Fleisches ab. Es war für das
Leben und die Sicherheit des Stammes notwendig, Okparas zu erlegen.
Einige schnelle, weite Sätze brachten den Jäger in die
Dek-kung höherer Felsen. Auf den Sandflächen zwischen dem
Gestein begann Thay seinen Lauf zur Quelle. Dort waren die Bestien.
Nachts, um zu trinken und sich im Schlamm des Ufers zu wälzen,
morgens, um Beute zu machen und kleinere Tiere zu reißen. Als
sich die Sonne über den Kamm der Vorberge schob, saß Thay
mitten in den Schilfwäldern um den See.
Vögel flogen auf, als er vorsichtig die harten Halme zur
Seite bog. Er hatte die Harpune von der Schulter genommen, eine der
Explosivladungen in die Kammer gesteckt und die lange Stahlstange mit
der widerhakenbewehrten Spitze ein geschoben. Das Seil, mit dem
anderen Ende am Gürtel festgemacht, wurde an der Spitze durch
den Fangring geschoben und verknotet. Der Hahn der Büchse war
zurückgebogen; die Sicherung war eingelegt. Thay wartete.
»Noch eine Stunde …«, wisperte er erregt. Er dachte,
während er bewegungslos im Schilf hockte, an Srisupak. Viermal
während eines Planetenumlaufs öffneten die Vögel ihre
Sperren. Zwischen den vielen Inseln des Planeten begannen
Menschenmassen zu wandern. Boten kamen und gingen, trugen
Botschaften, Karawanen galoppierten durch Sand, Wälder, über
Steppen.
Neues Wissen wurde ausgetauscht. Pläne wurden weitergegeben,
Menschen trafen sich. Mit einer Karawane, der größten, die
Thay in seinem Leben je gesehen hatte, kamen Äxte, Messer und
Schmuckstücke. Auch Srisupak war gekommen. Sie lebte im
Frauenhaus und wartete. Auf Thay und seine Rückkehr - wenn er in
Ehren zurückkam.
Wenn Thay eine glückliche Jagd hatte und nicht verletzt
wurde, wartete ein Fest auf ihn, eines jener Feste, die er bisher
immer aus der Ferne des vierten Hüttenringes beobachtet hatte,
und bei dem im Feuerschein die Volljährigkeit an junge Jäger
verliehen wurde. Sie durften mithelfen, Fleisch zu machen und es zu
räuchern, um es gegen Edelmetalle, Waffen oder Munition zu
tauschen oder gegen Diener oder Frauen. Jedenfalls konnte nur gegen
etwas getauscht werden, das nicht auf der Insel des strafenden Gottes
entstanden war. Es mußte aus einer der rund zwanzig Oasen
dieser Welt kommen. Der große, durchscheinende Vogel strich
lautlos über den Schilfwäldern dahin und wartete mit Thay
auf den Ok-para. Es schien ein endloses Warten zu werden.
Die Hitze nahm zu. Die Sonne strahlte herunter, als etwas geschah,
das die Stille des Morgens unterbrach. Thay rührte
sich nicht; der Schweiß rann an der Falte zwischen
Nasenrük-ken und Wangen entlang, tropfte auf die Oberarme und
ließ in der NeTenfärbung Furchen entstehen. Rechts
flatterte eine Kette von Merlins auf. Die falkenartigen
Insektenfresser entfalteten ihr kaltgrünes Gefieder und rasten
dicht über dem Wasser dahin, grelle Schreie ausstoßend.
Über der runden Schilfinsel senkten sie sich, prallten mitten
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