PR TB 036 Die Katakomben Der Besessenen
Erregung.
Überdeutlich und klar waren die einzelnen roten und weißen
Blutkörperchen und die Blutplättchen im hellen Plasma zu
sehen. Dazwischen jedoch bewegten sich Gebilde, die gegen die anderen
festen Blutbestandteile geradezu gigantisch wirkten, obwohl sie für
das bloße menschliche Auge unsichtbar gewesen wären.
„Auch hier der gleiche Befund, Sir“, klang Riumjanzews
tiefe Baßstimme auf. „Das Blut ist mit winzigen,
einzelligen Lebewesen infiziert, deren Körperform so amorph
erscheint wie die von Amöben. Auf Terra würde die Diagnose
vielleicht auf Amöbenruhr lauten ...“
Er unterbrach sich räuspernd und bewegte die schlanken
Finger, daß die Gelenke knackten.
„Allerdings nicht, wenn es sich bei dem Patienten um
einen Oxtorner handelte. Deren Metabolismus ist das reinste Gift
für Ruhramöben - unter anderem.“ Sein Tonfall wurde
zynisch. „Außerdem beschränkt sich die Pathogenität
von Ruhramöben effektiv auf den genau entgegengesetzt plazierten
Körperteil, möchte ich behaupten ...“
John Marshall lächelte flüchtig, ohne jeden wirklichen
Humor.
„Das ist alles ganz interessant, Professor. Aber mich bewegt
eine ganz andere Frage. Die effektive Wirkung der amöboiden
Lebewesen dürfte als bekannt vorausgesetzt werden. Wir wissen
jedoch nicht, wodurch sie zustande kommt. Führen Sie bitte den
Appleton-Geiger-Test durch!“ Riumjanzew wölbte die
buschigen Brauen. Sein breitflächiges Gesicht wurde zu einer
kantigen Maske.
„Sie sollten keine so billigen Scherze treiben, Sir. Die
Lage ist ernst, fast zu ernst, fürchte ich.“ Er entdeckte
das harte Leuchten in Marshalls Augen und schluckte. „Es ist
also tatsächlich Ihr Ernst?“ fragte er ungläubig und
fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten. „Vergessen Sie bitte
nicht, daß es sich um Einzeller handelt, Sir. Ich frage mich,
wenn Sie schon auf derartig absurde Ideen kommen, an welcher Stelle
der mikroskopischen Schleimklümpchen Sie sich das Gehirn denken
möchten ...?“
Marshall hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Er hielt sie
jedoch zurück. Wieder einmal wurde ihm in aller Deutlichkeit
bewußt, wie groß die geistige Kluft bereits geworden war,
die ihn - den relativ Unsterblichen - von jedem Menschen mit
befristeter Lebenserwartung trennte. Wie so oft schon, ergriff ihn
die Angst vor dem unausbleiblichen Endresultat jener Entwicklung, dem
Endresultat, das jedes gegenseitige Verständnis eines Tages
ausschließen würde. Schon jetzt unterschied sich das
Denken von Sterblichen und Unsterblichen in mancher Beziehung sehr
kraß und ließ sich kaum noch auf einen gemeinsamen Nenner
bringen.
„Schon gut, Professor“, entgegnete er müde. „Sie
haben recht. Jeder dem Menschen vergleichbare Intelligenzquotient ist
an ein bestimmtes Gehirnvolumen bei der maximal möglichen
Packungsdichte gebunden. So haben es jedenfalls alle bisherigen
Untersuchungen ergeben.“
Er blickte zu der Projektion hinüber.
„Vielleicht würden Sie mir eher beipflichten, wenn ich
Ihnen meine Meinung detailliert darlegte. Doch gerade das will ich
vermeiden. Sie sollen vollkommen unbeeinflußt arbeiten können.
Tun Sie nach Möglichkeit so, als gäbe es keine fundierten
Erkenntnisse über die biologischen Voraussetzungen zur
Entwicklung von Intelligenz. -Außerdem ...“, er strich
sich geistesabwesend über die Stirn, „... empfange ich
seit dem progressiven Fortschreiten der ,Seuche‘ die
Gehirnimpulse intelligenter Wesen, unheimlich fremdartige Impulse,
die ich vielleicht nie ganz begreifen werde, aber dennoch solche, die
auf determinierendes Denken schließen lassen.“
Aus Riumjanzews Gesichtsausdruck war herauszulesen, daß er
den Chef des Mutantenkorps für einen Laien hielt, der von einer
fixen Idee besessen war. Dennoch nickte der Professor. Es gab
anscheinend keinen anderen Weg, John Marshall von seinem Fehlschluß
abzubringen.
„Wie Sie wünschen, Sir. Ich hoffe allerdings, Ihre
Befürchtungen zerstreuen zu können.“
Marshall blickte ihn voller Ironie an.
„Sie sollten sich besser überlegen, was Sie hoffen
möchten, Professor. Falls Sie nämlich recht behalten, geht
die ganze Suche noch einmal von vorn los.“
Er winkte kurz und ging aus dem Zimmer.
Draußen vor der Tür blieb er stehen und preßte
sekundenlang die Finger gegen die Schläfen. Er hatte
neunundvierzig Stunden Terrazeit nicht mehr geschlafen, und auch
jetzt durfte er keinen Gedanken daran verschwenden. Aber das war es
nicht, was diesen Druck gegen
Weitere Kostenlose Bücher