PR TB 040 Herr über Die Toten
kurze Zeit in
zuckendes Leuchtfeuer. Der Gleiter bog nach wenigen Minuten in eine
Untergrundstraße ein. Das Steuergehirn setzte die
Geschwindigkeit herab. In dem breiten Tunnel herrschte gelbrote
Helligkeit, sie vermittelte den Eindruck, als wäre man von einer
Welt in eine ganz andere geraten. Als das Fahrzeug Lunors wieder an
die Oberfläche kam, war die Sonne bereits untergegangen. Nun
leuchteten die Gebäude von innen heraus und verbreiteten eine
nahezu schattenlose Helligkeit.
Kurz darauf hielt der Gleiter vor einem großen, gläsernen
Haus. Lichtsymbole wiesen auf den Zweck des Hauses hin.
Lunor stieg aus und wartete, bis sein Fahrzeug wieder abfuhr. Er
brauchte nichts zu bezahlen; niemand in Maa Duun benötigte Geld,
um leben zu können.
Der Direktor kam selten hierher. Darum verweilte sein Blick
minutenlang auf dem Brunnen im Zentrum des Platzes. Abstrakte Figuren
richteten ihre Münder gen Himmel, in die Richtung, die der
gleißenden Spirale des Andromedanebels abgewandt war.
Hauchdünne Energiekaskaden schössen aus den Mundöffnungen,
erzeugten ein bläuliches Flimmern, das sich irgendwo in der
Nacht über der Stadt verlor.
Und wieder frevelte Lunor, indem er an etwas dachte, das tabu war
für alle Bewohner Maa Duuns. Er überlegte, warum wohl die
Energiekaskaden ausgerechnet dorthin zeigten, wo hinter den Sternen
von ANDRO-Beta nichts anderes was als die große Dunkelheit, das
Nichts…
Oder lag dort etwas anderes?
Warum war es verboten, daran zu denken?
Lunor kam zu keinem Ergebnis. Resignierend wandte er sich um und
schritt auf das geöffnete Portal des Vergnügungshauses zu.
*
Die Fiktivwände in der Vorhalle versetzten die Anwesenden
alle paar Augenblick in eine andere illusionäre Umgebung. Als
Direktor Lunor sie betrat, glaubte er, am felsigen Ufer eines Meeres
zu stehen, deren Wogen brüllend gegen die Klippen anrannten. Die
Illusion war so vollkommen, daß er das Gefühl hatte, die
glitzernden Schleier zerstäubten Wassers netzten seine Haut.
Etwa zwanzig Männer und Frauen standen in kleinen Gruppen
beisammen. Sie unterhielten sich laut, und Lunor hörte heraus,
daß sie überlegten, welchen Sektor des Vergnügungshauses
sie zuerst aufsuchen sollten.
Aus dem schmalen Eingang zu einem Sensitivkino taumelten zwei
Frauen und zwei Männer. Ihre Gesichter glühten noch von der
Erregung, in die sie die Sensitivomaten versetzt hatten. Sie schienen
volltrunken zu sein. Wankend verschwanden sie im Eingang einer Bar.
Lunor verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
Aus der Bar würden sie in das nächste Sensitivkino
gehen, von dort aus vielleicht wieder in eine Bar oder in eine
Showhalle - und von dort aus schließlich in irgendein Zimmer
der oberen Stockwerke.
Dennoch: Die Dekadenz allein konnte nicht die Ursache für die
immer mehr zunehmenden Fälle von Schizophrenie sein!
Er überlegte, ob er Eysan rufen lassen sollte, damit er ihm
den Weg zu der Einzelkabine wies, die Noola benutzt hatte, kurz bevor
sich ihr Geist verwirrte. Doch dann wurde ihm klar, wie wenig das
helfen würde; es gab Hunderttausende möglicher
Programmkombinationen, und niemand konnte wissen, welche Noola
zuletzt verwendet hatte.
Lunor erkannte, daß ihm nur der Zufall helfen konnte, die
Spur zu finden. Entschlossen wandte er sich dem Sensitivkino zu,
dessen Eingang ihm am nächsten
lag.
Plötzlich fühlte er eine Hand auf seinem Unterarm. Eine
Wolke aufdringlich duftenden Parfüms wehte ihm ins Gesicht.
Er drehte sich um und musterte die Frau, die sich an seine Seite
gedrängt hatte. Ihr Gesicht war puppenhaft ausdruckslos, ihr
Lächeln starr und maskenhaft. Wahrscheinlich kannte sie alle
Illusionen des Vergnügungshauses und vermochte ihnen keinen Reiz
mehr abzugewinnen.
“Was wollen Sie?” fragte er abweisend.
“Nehmen wir zusammen eine Kabine im Sensitiv?” fragte
sie.
Lunor bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren.
“Tut mir leid”, sagte er schulterzuckend, “leider
habe ich schon eine Verabredung.” Sofort ließ sie seinen
Arm los.
“Na, dann vielleicht ein andermal!”
Sie schlenderte auf eine Gruppe von drei Männern zu, die
soeben durch den Haupteingang kamen…
Lunor beeilte sich, aus der Vorhalle herauszukommen.
Ein Gleitband brachte ihn zu einem abwärts führenden
Antigravlift. Er sank etwa drei Stockwerke tief. Verirren konnte er
sich nicht; der Liftschacht besaß nur den einen Ausgang.
Nachdem er etwa zehn Meter gegangen war, kam er in eine kleine
Kuppelhalle.
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