PR TB 040 Herr über Die Toten
und
machte dadurch alles nur noch schlimmer.
Ächzend sank er in den Gravotank zurück und schloß
die Augen. Das Gefühl, in einem unablässig kreiselnden
Gleiter zu sitzen, ließ erst nach einigen Minuten nach.
Diesmal drehte sich das Zimmer nicht ganz so schnell um ihn. Seine
Finger ertasteten die Schaltleiste. Die Form des Gravofeldes
veränderte sich und ließ ihn sanft mit den Füßen
voran zu Boden gleiten.
Taumelnd klammerte er sich an der Kante des ovalen Tischchens
fest. Verschwommen erkannte er eine linsenförmige Ampulle auf
der Tischplatte. Mit zitternden Fingern griff er danach und preßte
sie sich gegen den Nacken.
Innerhalb weniger Sekunden verschwanden die Kopfschmerzen. Der
Blick klärte sich, und die scheinbaren Bewegungen der Wände
und Gegenstände wurden langsamer, bis sie gänzlich zur Ruhe
kamen.
Lunor löste die leere Ampulle und legte sie auf den Tisch
zurück.
Danach sah er sich genauer um.
Die Einrichtung des Zimmers deutete daraufhin, daß es einer
Frau gehörte, einer Frau mit einem sehr konservativen Geschmack,
denn der gläserne Boden war mit großen, schwellenden
Teppichen ausgelegt. Ausgewählte Gemälde hingen an den
Wänden, und der einseitig transparente Teil der Außenwand
war durch Plastikvorhänge verdeckt.
Lunor fragte sich vergeblich, wie er in die Wohnung einer Frau
gekommen war. Er errötete bei der Vermutung, irgendeine der
Frauen, die im Vergnügungshaus nach Männerbekanntschaften
suchten, könnte ihn dazu gebracht haben, mit ihr zu gehen. Diese
Vorstellung entsetzte ihn. Immerhin aber vermochte er sich an nichts
mehr zu erinnern - außer daß er nach dem Besuch des
Sensitivkinos in einer Bar gelandet war. Ein glockenhelles Lachen
ließ ihn herumfahren.
“Jossipor… !”
Jossipor schlug sich mit der flachen Hand auf den Mund und
errötete.
“Verzeihung, Direktor! Ich wollte Sie nicht kränken. Es
war reiner Übermut, daß ich lachte.”
Lunor winkte ab. Mit gefurchter Stirn frage er: “Ich
verstehe nicht ganz, wie ich
hierher gekommen bin. Können Sie mich bitte darüber
aufklären, Jossipor?”
Über das Gesicht seiner Assistentin huschte ein Schatten.
“Ich habe Sie aus einer Bar des Vergnügungshauses am
Platz des Vergessens geholt, Direktor. Sie… Sie hatten ein wenig zu
viel getrunken.”
“Ein wenig zu viel getrunken, ist eine glatte Untertreibung,
Mädchen.”
“Ja, und da dachte ich eben, es sei besser, Sie nach Hause
zu bringen.”
“Nun, mein Zuhause ist meine Wohnung. Warum luden Sie mich
nicht einfach dort ab?”
Jossipor errötete erneut. Sie schüttelte heftig den
Kopf.
“Es wäre unverantwortlich gewesen, Sie in diesem…
Zustand allein zu lassen. Ich mußte Ihnen eine
Kompensationsspritze geben und… und ich wollte mich auch
bereithalten, falls Komplikationen eintreten sollten. Ja, und wo
hätte ich besser auf Sie aufpassen sollen als hier?”
“Hm, ja!” brummte Lunor verlegen. “Da muß
mein Zustand ja schrecklich gewesen sein und…”
“Das dürfen Sie ruhig laut sagen!” entfuhr es
Jossipor. “Ich meine, Sie waren eben hilfsbedürftig,
Direktor.”
“Schon gut”, erwiderte Lunor bedrückt. “Es
tut mir leid, daß ich mich nicht beherrscht habe.”
“Menschen, die sich immer beherrschen und nur beherrschen,
sind mir ganz und gar nicht sympathisch”, erklärte
Jossipor mit Nachdruck.
Er blickte sie prüfend und ein wenig argwöhnisch an,
dann zuckte er die Schultern. “Jedenfalls bin ich Ihnen zu Dank
verpflichtet, Jossipor. Ich… ähem… habe da vorhin den Duft
frisch gebrühten Axars gerochen. Könnte ich, dürfte
ich wohl…”
“Ich freue mich, Ihnen etwas anbieten zu können,
Direktor. “Würden Sie bitte kommen?”
“Gern. Ja, und Sie dürfen mich ruhig Lunor nennen,
Mädchen.”
Jossipors Augen verdunkelten sich.
“Danke, Lunor!” hauchte sie. Rasch wandte sie sich ab,
damit er an ihrem Gesicht nicht die Gefühle ablesen konnte, die
sie gleich einer Woge überschwemmten. Anscheinend ist es von
seiner Seite aus nur eine Formalität, dachte sie bedrückt
und fühlte dabei einen brennenden Schmerz, der bis in die
Fingerspitzen pulsierte.
Lunor merkte nichts davon.
Als sie beim Axar saßen - es war die Schale nach dem
Frühstück - fixierte Lunor seine Assistentin plötzlich
scharf.
“Was halten Sie von der Halle der ewigen Nacht?”
fragte er schroff.
Erst hinterher kam es ihm zu Bewußtsein, daß er
bereits damit, daß er den Namen aussprach, einen
schwerwiegenden Frevel begangen
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