PR TB 042 Das Erbe Der Jahrtausende
drängten mit ihren unruhigen Glanzlichtern die
Dunkelheit zurück bis hinter die Reihen der angepflockten
Reittiere. Sechs Iglus waren aufgeblasen worden. Ihre armdicken
Versteifungen, mit
komprimierter Luft gefüllt, waren wie Lianen. Eine Phalanx
rotgetigerter Motten flatterte ins Licht hinein und verbrannte. Das
Fieber war wieder über Sherpa.
Er lag, scheinbar schläfrig, in seiner Hängematte, über
sich das Zelt der Moskitoleinwand. Die dritte Nacht war es, und
bisher war alles ohne jede äußere Schwierigkeit gegangen.
Nur ihn, Sherpa, nahmen die Dinge mehr mit, als er gedacht hatte.
»Ich werde dich fallen lassen wie einen heißen Stein,
Junge..«
Alles fehlte ihm, alles bedrängte ihn aufs äußerste.
Er dachte an seinen Schnaps, an Alissar, an die einschläfernde
Ruhe im Haus über dem Ufer. Er hatte drei Tage lang geschwitzt
und geschuftet, und er hatte in unzähligen Kleinigkeiten heftige
Kämpfe zu bestehen gehabt. Und der Minikom an seinem Handgelenk
war die furchtbarste Verlockung. Nur ein einziger Knopfdruck und
einige Worte, und eine Space-Jet von Port McKinley würde kommen
und ihn zurückbringen. Und damit war sein Schicksal besiegelt.
Sein Körper schrie nach der Betäubung.
Er schauderte vor Fieber; es war, als stehe er auf einem Bein und
einer Pyramide, ungeheuer weit über den Wolken. Es war die
zweite Krise in seinem Leben, aber sie war gefährlicher. Er
brauchte sich nur passiv zu verhalten. Langsam bewegte er sich, holte
eine der Zigarren aus der Dose und zündete sie vorsichtig an, um
nicht die Gaze aus Kunstfasern zu beschädigen. Eine der beiden
Wachen wurde aufmerksam, kam fast geräuschlos näher und
griff nach dem Tauwerk der Matte.
»Es geht noch etwas leiser, West«, sagte Sherpa zu
Larsen.
»Ich glaubte, du würdest schlafen, Sherpa.«
»Nein«, brummte der Mann. »Alles in Ordnung bei
euch?«
»Ja. Alles schläft. Du bist nicht müde?«
»Nein, mein Sohn«, sagte Sherpa tonlos. »Meine
Probleme sind etwas zu schwer und hocken auf meiner Brust.«
»Darf man sie kennen, Sherpa?«
»Natürlich. Nichts daran ist so beschaffen, als daß
es nicht jeder hören könnte. Und nichts an ihnen ist
nachahmenswert.«
Irgendwie fühlte er sich erleichtert, als spät nach
Mitternacht West abgelöst wurde und ging. Sie würden noch
zwei Tage brauchen, um zum Stamm Gebel al Ashdar zu kommen. Das
Fieber schien zu schwinden, und plötzlich fühlte Sherpa,
daß alles, was er tat, einen Anflug von Bedeutung erlangte. Nur
einen Anflug, nicht mehr.
Aus total Unwesentlichem wurde Sinn. Schlafen, Suchen und
Hoffnungen, der milde Irrsinn einer alkoholischen Betäubung,
Liebe und Verantwortungsgefühl, Sieg und Niederlage., alle diese
Begriff entblößten sich langsam und unmerklich der
Abstraktion, wurden wesenhaft. Aber noch nicht wesentlich. Sherpa
streckte sich aus, spuckte in die Vertiefung der Zigarrendose und
drehte den Glutkegel darin, bis er nicht mehr zischte. Dann warf er
die Zigarre durch eine Falte seiner Matte und lachte leise in der
Dunkelheit. Er fühlte, wie er fiel, wie ein Regentropfen, und
die Oberfläche eines schwarzen Meeres kam ihm entgegen und nahm
ihn auf. Er schlief, als habe man ihn betäubt.
Und erwachte als letzter.
Es roch nach Feuer und Rauch, nach Kaffee und Toast. Das letzte
mitgebrachte Dosenbrot wurde gegessen. Sherpa fiel aus der
Hängematte, fing sich ab und ging hinunter zu der kleinen
Quelle, um sich zu waschen und zu rasieren. Er warf sein olivfarbenes
Hemd in das Wasser, wrang es aus und schlang die Ärmel über
zwei harzfreie Aststumpen. Dann setzte er sich auf seinen Sattel und
aß mit großem Appetit.
Als er fertig war, sich zurücklehnte und seine Zigarre
anzündete, fing er einen langen Blick von West Larsen auf. Er
erwiderte ihn ebenso ernst und fühlte, daß er hier zwei
Freunde hatte - Larsen und Torrens.
Er stand auf und sagte:
»Macht euch langsam fertig. Wir kommen heute gegen Abend zum
Stamm al Ashdar. Hier werdet ihr einen vollendeten Tanz sehen, eine
vermutlich aufregende Unterhaltung zwischen dem Häuptling und
mir erleben und einen teuflischen Wein zu trinken bekommen.
Ich habe einmal einen meiner Männer vor allem gewarnt.
Davor, zu viel zu trinken, sich mit Eingeborenenmädchen
einzulassen und sich wie ein weißer Mann aufzuführen. Wenn
ich einen von euch bei so etwas erwische, kennt mich niemand mehr.
Ich hoffe, nicht deutlicher werden zu müssen. Nehmt euch in acht
- niemand von euch kennt die Gefahren.
Ich werde keinen der
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