PR TB 046 Planet Unter Quarantäne
das Lied miteinstimmte; die vielen verschmutzten Kinder, die
überall und nirgends lange waren; und schließlich der
seltsam gekleidete Mann, der vor einem geflickten Zelt stand und mit
lauter Stimme Kuriositäten ankündigte, die er jedem Bürger
gegen geringes Entgelt zeigen wollte.
In dieses Bild flüchtete Pharon für eine kurze
Zeitspanne -und ging darin auf. Er sah, wie unkompliziert sich das
Leben abspielen konnte, wie sorglos die Menschen waren. Und es zählte
kein Gott, keine Zukunft, keine Wissenschaft. Das alles gab es nicht
- nur den Augenblick. Es war ein schönes, bezauberndes Bild,
nicht schwarz, nicht weiß, sondern mit allen nur erdenklichen
Schattierungen. Es war das Leben selbst.
Und doch war es nur ein Traum, und Pharon war nur eine kurze Frist
gegönnt worden. Denn jetzt wurde das Bild gestört. Etwas
Dunkles, Dämonisches mischte sich unter die Farben, etwas, das
diesem Treiben so fremd und gegensätzlich wie der Tod selbst
war. Und es war auch so mächtig wie der Tod. Denn als der Jäger
auf der Szene erschien, an den Musikanten vorbei schritt, die
Marktstände entlangschlenderte und schließlich
Kuriositätenzelt und Pferdewagen erreichte, da starb alles
Leben. Und die Stille, die von dem Jäger ausging, verschlang
jeden Laut, nur das Hallen seiner Stiefel nicht und auch nicht
Pharons schweres Atmen.
Pharons kurzer, unbeschwerter Traum war aus.
Ich muss ins Pilgerhaus, dachte er bitter.
*
Es knallte, als der Jäger die Feuerwaffe vor Pharon auf den
Tisch warf. Sie befanden sich in Raschanas Zimmer. Sie, das waren
Pharon und zwei Jäger. Der eine stand steif und bewegungslos an
der Tür, der andere am Tisch. Pharon saß ihm gegenüber.
»Diese Waffe lag in der Andachtshalle«, krächzte der
Jäger. »Unbegreiflich«, murmelte Pharon.
Während des vorangegangenen Verhörs hatte Pharon seine
Worte mit recht vielen Gesten unterstrichen und hatte gehofft, damit
seine Angst zu verbergen. Jetzt war er müde und verschwitzt. Als
er jetzt sprach, klang seine Stimme belegt.
»Ich habe die Waffe nicht gesehen, als ich durch die
Andachtshalle ins Freie schritt«, sagte Pharon und räusperte
sich. »Nochmals!« forderte der Jäger.
»Was?«
»Die Geschichte.«
Pharon hatte ihnen folgendes erzählt: Nachdem Marasch
fortgebracht worden war, sei seine Tochter zu ihm heruntergekommen
und, nachdem er sich als neuer Prediger vorstellte, in Ohnmacht
gefallen. Pharon trug sie in ihr Zimmer und setzte sich wachend neben
sie. Dabei schlief er ein, und als er erwachte, war sie verschwunden.
Er ging sie suchen, fand sie aber nirgends. Dann kam er ins
Pilgerhaus zurück, und da erwarteten ihn bereits die Jäger.
Pharon hatte sich bei diesem Lügengespinst bewusst sehr an
die Wahrheit gehalten. Als er seine Geschichte zum erstenmal
erzählte, hatte er befürchtet, die Jäger würden
seine Lügen sofort durchschauen. Aber dann kam ihm immer mehr zu
Bewusstsein, wie wahr seine Worte klangen, obwohl sie nur verbrämte
Wahrheit waren.
Ich habe gelogen, und es klingt logisch! zog er überrascht
den Schluss daraus. Diese Erkenntnis war sehr wichtig für ihn,
denn es zeigte ihm, dass logische Erklärungen und logische
Schlussfolgerungen nicht unbedingt identisch mit dem Begriff
Wahrheit waren. Theoretisch war es also möglich, dass das
Glaubensbekenntnis … aber diesen Gedanken schob er vorerst
beiseite, denn jetzt musste er wieder den Jägern Rede und
Antwort stehen.
Er erzählte ihnen wieder seine Lügengeschichte.
Als er geendet hatte, fragte der Jäger vor ihm: »Und
Raschana hat keinen Augenblick eine Feuerwaffe in der Hand gehalten?«
»Nein«, sagte Pharon fest, »da bin ich ganz
sicher.«
»Wirklich?«
Pharon versuchte dem Blick aus den Sehschlitzen standzuhalten,
aber das gelang ihm nicht. Dafür legte er alle Kraft in seine
Stimme und versicherte unerschütterlich: »Ich bin absolut
sicher, dass Raschana diese Waffe nicht berührt hat. Vielleicht
war jemand in der Andachtshalle, nachdem ich das Pilgerhaus verlassen
habe …«
Der Jäger unterbrach ihn mit einer leichten Handbewegung.
»Aber vielleicht war Raschana nochmals hier und hat die Waffe
verloren.«
Pharon spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren
brach.
»Ich glaube es nicht…« sagte er lahm und verstummte.
Er hatte erkannt, worauf es die Jäger abgesehen hatten. Ihnen
lag wahrscheinlich nicht einmal etwas daran, zu beweisen, dass
Raschana die Feuerwaffe in Händen gehabt hatte, sie wollten mit
dieser Beschuldigung ganz
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