PR TB 086 Feldzug Der Morder
meinen Wolf an und ging dann
in mein Zelt. Patricia wartete bereits unter dem ausgespannten
Vordach.
»Werde ich heute auch wieder die ganze Nacht auf dich warten
müssen, Atlan?« fragte sie.
Ich nickte.
»Du weißt, daß ich nachts ein Doppelleben führe,
um Menschen deines Volkes zu retten.«
»Wann wird dieses Wanderleben, diese Tage voller Gefahren.
wann wird das alles aufhören?« fragte sie.
»Mit Attilas Tod hört alles auf!« sagte ich.
»Wann stirbt er?«
Ich sagte: »Ich rechne jeden Tag mit der Nachricht von
seinem letzten Blutsturz. Du weißt, was wir uns vorgenommen
haben. Habe Geduld, Patricia!«
Während wir in einem versteckten Seitental das Lager
aufschlugen, während die hunnischen Wachen aufzogen, die Tiere
grasten und zur Tränke gebracht wurden, die fast rauchlosen
Feuer brannten, dachte ich nach. Wir waren an vielen kleinen Städten
vorbeigekommen. Ich hatte diese Städte besucht und mit den
Verantwortlichen gesprochen, und die Hunnen glaubten mit felsenfester
Überzeugung, ich habe die Befestigungen der Stadt erkundet, in
der Maske eines reisenden Römers. Das stimmte auch bis zum
gewissen Maß, aber die Dinge lagen anders. Die vielen
einzeln stehenden Bauernhäuser und die kleinen Dörfer
hatten wir nicht überfallen, sondern nur hin und wieder - durch
eine kleine Abteilung - ein Rind, ein paar Schafe oder Ziegen stehlen
lassen. Wir hatten keinen einzigen Toten auf unserem Weg
hinterlassen. Jetzt stand die letzte Etappe vor uns: die Berge und
die Pässe. Aber. ich kannte den Weg bereits.
»Einen halben Tagesmarsch vor uns liegt eine Stadt«,
sagte Patricia. »Ich erinnere mich daran, weil wir dort
rasteten.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich muß bis
zur Dunkelheit warten, dann erst kann ich verschwinden.«
Diese andauernden, nächtlichen Ausflüge kosteten mich
Nerven, aber die Anzahl der Menschen, die ich dadurch retten würde,
war sehr groß. Attilas Marsch würde, wenn alle mir und
meinen Dokumenten gehorchten, durch ein totes Land führen. Wir
aßen, tranken eine Kleinigkeit, warteten, sprachen mit den
Zehnerführern, die mir beim Kartenzeichnen zuschauten,
schließlich befahl ich Nachtruhe. Ich sagte Serkan und Skitay,
meinen beiden besten Männern, daß ich geradeaus reiten und
in der Dunkelheit den kleinen Hang besteigen würde, und sie
brauchten sich keine Sorgen zu machen. Endlich waren wir allein.
Shass, der Steppenwolf, lag sprungbereit vor den Füßen des
Mädchens. Ich küßte Patricia zum Abschied, dann ritt
ich langsam davon. Unsichtbar schwebte über mir, im dunkelblauen
Himmel, der Sukhr. Ich hielt nach einer halben Stunde an, band meinem
Pferd die Vorderbeine zusammen und berührte den Schulterkontakt.
Der Falke kam, ich schlug das kurze Seil um seine Ständer,
setzte mich in die schwebende Schlinge und sagte:
»Zum Gleiter!«
Mit ausgebreiteten Flügeln schwebte der Falke höher und
höher, bis er sich zwischen den Baumwipfeln befand. Ich konnte
jetzt sogar das feine Brummen der belastenden Antriebselemente hören.
Wir drehten uns und flogen zum Gleiter, den ich jeden zweiten Tag neu
versteckte und nach Antritt dieser langen Reise aus seinem ersten
Versteck geholt hatte. Unsichtbar und einem riesigen, unförmigen
Nachtvogel gleich flogen wir um Felsen herum, durch den Wald und
schließlich auf das schmale Felsenband hinauf, das so gut wie
unbesteigbar war. Dicht neben der großen Doppelschale des
Schwebefahrzeugs setzte mich Turk ab.
»Ausgezeichnet!« murmelte ich. »Und jetzt der
Mummenschanz!«
Ich öffnete das Versteck, zog meine hunnische Kleidung aus
und verwandelte mich mit Hilfe eines prächtigen, vergoldeten
Helmes und einer ebensolchen Rüstung, eines Purpurmantels,
leichten Beinschienen und den entsprechenden Waffen in einen
römischen Adeligen. Schon damals, als ich zu meinem ersten
Einsatz bei Aetius aufgebrochen war, führte ich gefälschte
Pergament-Dokumente mit mir. Ich nahm eines dieser rollenförmigen
Stücke, überlegte sorgfältig und lange.
Deine Maske ist vollkommen! Du kannst fliegen! sagte mein
Extrasinn.
»Mitkommen!« sagte ich zu Turk.
Ich kletterte in den Gleiter, öffnete eine Klappe und nahm
aus der
schweren, vollen Flasche einen kräftigen Schluck. Das
ARKON-Getränk belebte, berauschte unmerklich und kräftigte
mich. Dann startete ich den Gleiter.
Mein Ziel: Die Siedlung vor mir.
Eine von vielen - bisher hatten sie alle geglaubt. Zögernd
zwar und nicht ganz überzeugt, aber die Last meiner Beweise war
erdrückend. Mit
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