PR TB 100 Der Kontinent Des Krieges
quälen würden. Ich bin eine Hexe, sagten sie. Und
der Mann ist ein Hexer, ein Freund des Teufels.“
Ich sagte: ,Wir kamen auf den Marktplatz, als dich zwei Soldaten
auf den Schultern zu einem Schimmel trugen. Du konntest dich
losreißen und bist über einen Zaun gesprungen, durch den
Garten des Pfarrers gerannt, über eine Mauer gesetzt, und dann
bist du auf den Stufen der Kirche zusammengebrochen.“
Sie sah mich an.
Jch erinnere mich. Dort war ein warmes Licht, und dort stand ein
Mann, der so aussah, als könne er mir helfen. Eine Hexe flieht
nicht in die Kirche.“
,Per Mann bin ich“, sagte ich.
Ihre Finger, schlank und auf eine merkwürdige Weise kräftig,
spielten mit dem Bratenmesser.
,Als sie mein Haar abgesengt hatten und mich untersuchten, ob ich
Merkmale des Teufels trug“, erzählte sie weiter, und als
sie sprach, merkte ich, wie sie sich von der Schilderung
distanzierte, so, als habe eine andere Person das alles erlebt, ,kam
ein Offizier in den Kerker. Ich schrie und schrie, und er sagte, er
liebe Hexen. Es war ein ekelhafter Kerl. Ich schrie, er solle
weggehen, weil sein Anblick böse ist.“
Die Sprache! flüsterte der Extrasinn.
Ich hatte gebannt dem Bericht zugehört, und deshalb war mir
die Eigentümlichkeit ihrer Ausdrucksweise entgangen. Als sie
weitersprach, merkte ich es deutlich. Entweder war sie unsicher, was
die Wortwahl betraf, oder aber sie hatte Jahre der Schulung und eine
Zeit, in der sie eine verwilderte Sprache gehört und be nutzt
haben mochte, durcheinander gewürfelt. Statt ,sei“ sagte
sie ,ist“ und ich spürte weitere Eigentümlichkeiten
auf.
,Dann ging er und lachte. Der Henkersknecht stach mich mit einer
langen Nadel, und ständig blies er mir seinen stinkenden Atem
ins Gesicht.“
Wir hörten schweigend zu.
,Pann sagte der Scharfrichter, ich könne mich loskaufen
lassen, wenn ich mit Eyb vom Fels gehe. Ich wollte nicht. Sie
steckten meine Beine in Holzblöcke und drehten Schrauben, bis
das Blut lief. Ich wurde besinnungslos vor Schmerzen. Sie schütteten
mir Wasser ins Gesicht und befragten mich abermals, Eyb kam wieder
und berührte mich... “
Sie schauderte, und ich sah, wie sich ihr Körper versteifte.
Sie redete jetzt wie unter Zwang. Auf ihren Armen erschienen helle
rote Flecken; die Spuren der Misshandlungen. Die Härchen an den
Armen und im Nacken stellten sich auf. Ich beobachtete sie scharf.
Wer war sie wirklich? Tatsächlich die Gehilfin eines
Kartenzeichners? Schon möglich. Sie keuchte auf und sprach
weiter: ,Er berührte mich... überall, am ganzen Körper.
Ich bringe ihn um, wenn ich ihn treffe. Dann peitschten sie mich. Ich
schrie und schrie. Wieder kam Eyb und fragte lachend, ob ich den
Scheiterhaufen lieber habe als ihn. Meine Haut, sagte er, sie ist so
warm. Er liebe die Hitze bei Frauen, lachte er. Der Knecht peitschte
mich wieder, und dann banden sie mich los und legten mich auf eine
Leiter. Sie zogen mir die Glieder auseinander. Und immer war ich
nackt.“
Sie keuchte. Schweiß lief über ihr Gesicht. Ich
erkannte, dass sie nur dann von ihren Erlebnissen loskam, wenn sie
alles bis zum Ende erzählte. Lange würde es nicht mehr
dauern. Kein Atemzug war in der Hütte des Köhlers zu hören.
,Und dann waren überall im Keller Fackeln und Feuer. Und
diese Ratten. Sie warteten darauf, bis sie mein Blut lecken konnten.
Die Ratten... die Ratten... diese hässlichen, dreckigen
Ratten...“
Ich war bereit, nach vorn zu springen und einzugreifen. Das
Mädchen, dessen Namen wir noch immer nicht wussten schwankte
nach vorn und nach hinten, als führe sie eine Reihe ritueller
Bewegungen aus. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Stimme war
die eines Jungen im Stimmbruch, als sie heiser weiterredete, sich
verhaspelte, flüsterte und immer wieder leise aufschrie wie ein
verwundetes Tier.
,Ratten... auch Eyb war eine Ratte. Ist eine Ratte. Ich wurde
ohnmächtig, als sie meine Gelenke auseinander rissen. Dann
schrie ich, dass Eyb mich haben könne. Er gab dem Scharfrichter
einen Schinken und Gold. Sie ließen mich los, gossen Wasser
über mich. Dann kamen zwei Männer und haben mich
weggeschleppt.“
Das Mädchen drehte sich um, schnappte nach Luft und
öffnetedie Augen. Ein langer Blick aus hellgrünen Augen, in
deren Iris silberne Streifen waren, traf mich. Als das Mädchen
die rötliche Farbe meiner Augäpfel sah, schüttelte sie
den Kopf und
flüsterte: ,pie Nachtluft machte, dass ich wieder zu mir kam.
Ich sah fremde Reiter, sah diesen
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