PR TB 104 Samurai Von Den Sternen
Sitten
hervorgebracht hatten, waren sowohl der Tempel als auch das Wohnhaus
von uns instand gesetzt worden. Die Möwe suchte noch immer nach
dem Fremden, da sie nur über eine grobe Peilung verfügte.
Sie ging ausgesprochen empirisch vor und verglich alle Menschen, die
sie sah, mit den »Erinnerungen« an den Fremden. Ich hatte
nichts von ihr gehört. Immer mehr wuchs ich in Sprache und
Gebräuche hinein. Einerseits langweilte ich mich, weil kaum
etwas geschah, andererseits wußte ich, daß Eile oder zu
rasches Vorgehen tödlich sein konnten. Yodoya unterwies mich in
den Sitten der Samurai, der alte Mann erläuterte mir die
Grundzüge des Zen, und die Tage verstrichen.
Schließlich bedankten wir uns, und ich wußte, daß
Katayama die Goldstücke finden würde, die ich irgendwo
leicht versteckt hatte. Mit diesem Geld war sein Leben auf Jahre
hinaus gesichert.
»Denke daran, Ataya!« warnte Katayama mich, als ich
neben dem Pferd stand und die Packen festschnallte, »wer laufen
will, muß zuerst gehen lernen. Und gerade die ersten, tastenden
Schritte sind die schwersten. Hier ist der Brief!«
Ich verbeugte mich; wieder fiel mir der große Unterschied
zwischen meiner Länge und derjenigen beider Männer auf. Ich
fiel überall auf - ich war ein Riese.
»Ich danke dir!« sagte ich.
Wir wechselten noch viele Abschiedsworte, dann endlich schwangen
wir uns in die Sättel und ritten davon. Das Packpferd trug eine
Ausrüstung, die für mich - noch - fast wertlos war. Die
erste Station würde die Burg sein, die nichts anderes war als
ein gewaltiges Herrenhaus, umgeben von Bauerndörfern, Feldern
und Wäldern. Der Sitz der Familie Shokokuyij.
Je mehr wir nach Süden kamen, desto reicher wurde das Land.
Wir trafen mehr und mehr Menschen.
Und schließlich: die Burg.
»Dort!« sagte Yodoya. »Ich glaube, daß es
schwer sein wird, unseren neuen Herrn zu überzeugen, daß
du keine Mißgeburt bist, sondern ein vollwertiger Mann.«
»Wir werden es versuchen!« sagte ich und dachte daran,
meine wenigen Verteidigungswaffen einzusetzen, falls ich scheiterte.
Mit einem Gefühl, das zwischen Neugierde, Spannung und
Unsicherheit schwankte, ritten wir weiter. Die Burg mit den
moosbewachsenen, altersdunklen Mauern kam näher und wurde
deutlicher.
Die Eindrücke voll stiller Poesie, die uns bis hierher
begleitet hatten, verschwanden. Die Burg sah drohend, kalt und
abweisend aus. Sie war ein Symbol der Macht - und aus diesem Grund
begann ich, mir ins Gedächtnis zurückzurufen, was mich
Yodoya gelehrt hatte.
Du hast nichts vergessen! Natürlichkeit ist die am meisten
überzeugende Art! sagte der Extrasinn.
Schließlich kamen wir an das Burgtor. Es war das
Paradebeispiel für eine Falle, in die jeder Feind hineingehen
mußte.
Yodoya fragte leise:
»Erkennst du die Anlage? Siehst du, wie sie wirkt?«
Ich nickte und erwiderte:
»Jeder Angreifer, der zum Tor der Burg vordringen will, muß
einen Hohlweg aus unangreifbar glatten Mauern passieren. Von dort
oben können zwanzig Bogenschützen fünfhundert
anstürmende Gegner vernichten.«
Das Tor, eine Reihe senkrecht stehender, langer Balken, mit
schwerem Metall beschlagen und von mächtigen Angeln gehalten,
besaß noch ein kleineres Tor. Dort öffnete sich eine
eiserne Klappe, und ein bärtiger Posten unter einem
schwarzglänzenden, flachen Helm fragte:
»Kuge? Was wollt ihr?«
Yodoya sagte:
»Zwei der drei Männer, die Leben und Besitz des Herrn
schützen werden, sind eingetroffen. Führe uns zu
Shokokuyij, Mann!«
Er musterte uns eine Zeitlang, dann rief er einige Befehle. Das
kleine Tor schwang auf, und wir ritten hindurch. Vor uns, jenseits
eines steinernen Ganges, breitete sich ein großer, flacher Hof
aus, der in drei Ebenen angelegt war. Hier oben, auf dem Hügel,
schien sogar das Sonnenlicht schwächer zu werden. Wir wurden
über den Hof geführt, unsere Pferde wurden weggebracht, und
dann begann ein langer Irrmarsch durch hochliegende Verbindungsgänge,
leere Kammern, in deren Wänden sich mit gespenstischer
Lautlosigkeit Türen aufschoben, über gewachste
Dielenbretter, wieder durch Korridore; schließlich schloß
sich hinter uns die letzte Tür. Wir befanden uns in einem fast
leeren Raum, der mindestens fünfzehn zu fünfzehn Meter maß
und höher als drei Meter war.
Ich murmelte:
»Was jetzt?«
»Warten!« sagte Mootori leise.
Wir warteten also.
Unterwegs hatten wir viel über den Mann erfahren, für
den wir arbeiten und notfalls kämpfen sollten. Er war
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