PR TB 108 Der Arkonide Und Der Sonnenkönig
würden. »Allüre? Ich glaube nicht,
daß es noch viele Dinge gibt, die mich aus der Fassung bringen.
Für lange Zeit aus der Fassung bringen.«
Ich ritt hinter ihr und sagte kurze Zeit später:
»Ohne Zweifel kommt Ihr alle aus einem Land oder besser aus
einer Welt, die für Euch wenig Freude hatte. Vorsicht! Die
Farben eines Paradieses blenden, die
Klänge täuschen und sind rasch verhallt, und mitten
zwischen den blühenden Rosen hebt die giftige Natter ihren
Kopf.«
Ich hatte so laut gesprochen, daß jeder der vier Vagabunden
mich hören mußte. Ich erntete ein tiefes, betretenes
Schweigen.
*
«Als es warm zu werden begann und wir nichts mehr von den
anderen Jägern hörten außer ab und zu einem Hornruf
oder einem Schuß, sahen wir ein Rudel Rehe von links nach
rechts wechseln. Zweimal krachten die Flinten, und zwei Rehe schlugen
mit den Läufen und sackten im flüchtenden Sprung zusammen.
Wir banden sie an einen starken Ast, merkten uns die Umgebung und
ritten weiter. Schließlich, gegen Mittag, kamen wir an den
breiten Bach, der sich in wirren Linien durch den Wald schlängelte.
Wir sahen das hoch wuchernde Unkraut an den Ufern, und die Hunde
stöberten Ketten von Fasanen auf, von kleinen, unscheinbaren
Wachteln und Wildenten. Ein See schien nicht fern zu sein.
»Ich kann mich erinnern«, rief Gabrielle fröhlich,
»daß der Vicomte bat, viel Geflügel zu schießen.
Hier ist der beste Platz dafür!«
»Atlan, Eure Hunde sollen sie uns zutreiben!« sagte
Diannot.
Ich schnippte mit den Fingern. Hector und Castor kamen
herangesprungen und blieben vor mir stehen. Nur ich wußte, daß
in ihren Schnauzen starke Projektoren verborgen waren. Aber die
Waffen wurden nur ab einer gewissen Gefahrenklasse verwendet; wenn
Tairi oder ich in
Lebensgefahr schwebten. Ich deutete auf das Schilf und das
Unkraut, die Nesseln. Dann sagte ich:
»Aufscheuchen. Dorthinüber!«
Die Hunde bellten fast synchron. Ihr Fell war noch vom Blut des
Ebers bedeckt.
»Sie gehorchen aufs Wort!« riefBeatrix verwundert.
»Eine Folge langer Dressur, Beatrix!« erwiderte Tairi
leise. »Auch Hunde verstehen, was man von ihnen will. Im
Gegensatz zu Menschen weigern sie sich nur selten.«
Ich grinste innerlich: Hin und wieder sagte dieses erstaunliche
Mädchen Dinge, die sie nicht von mir hatte.
Soviel über deine Gedanken, daß Tairi das Produkt
deiner pädagogischen Bemühungen ist, sagte das Extrahirn
überaus sarkastisch.
Wir stiegen ab und banden die Pferde fest. Dann, in lockerem
Gespräch, gingen wir an die Stellen, die uns geeignet
erschienen. Die Hunde warteten am Rand des Grüngürtels auf
meinen Befehl. Als wir dastanden, die Büchsen in den Händen,
rief ich leise:
»Hector! Castor! Sucht!«
Die Hunde senkten die Köpfe und sprangen in das grüne
Wirrwarr. Wir warteten gespannt. Abermals überlegte ich nicht
ohne Spannung, wie sich die Fremden verhielten. Hatten sie ihre
eigenen Waffen getarnt, so wie ich? Oder verwendeten sie tatsächlich
die Gewehre des Hausherrn, jene schlecht funktionierenden und
keineswegs treffsicheren Geräte? Tairi stand neben mir und hatte
die Flinte schußbereit an der Schulter. Ihr schmales Gesicht
mit den großen, schrägen Augen glühte vor
Konzentration.
»Tairi«, sagte ich leise.
»Ja?«
»Langsam schießen. Sie werden sonst mißtrauisch,
wenn die Schüsse zu schnell aufeinander folgen. Wir wollen
warten, wie sie sich verhalten.«
»Verstehe. Aber ... wann willst du ihnen sagen, wer du
wirklich bist?«
Ich zuckte die Schultern.
»Keiner weiß den rechten Zeitpunkt«, sagte sie
flüsternd und nahm die Augen nicht von der einfachen
Zielvorrichtung. »Vielleicht ist es am besten, wenn wir sechs
zusammen von Sceaux nach Versailles reiten.«
»Das ist zweifellos sinnvoll!« gab ich zu.
»Dann solltest du sie fragen. Ich schlage vor, du
unterhältst dich mit Dié oder Gabrielle. sie ist am
meisten aufgeschlossen.«
Kaum hatte das Mädchen das letzte Wort gesprochen, erhob sich
ein Schwärm Wildenten mit feuchten, klatschenden Flügelschlägen
aus dem Schilf. Tairi schoß. Wir besaßen keine
Schrotladungen, und ich staunte, als die zweite Ente in der Luft
zusammenzuckte, in einer steilen Kurve nach unten fiel und im Wasser
der Bachbiegung aufschlug. Dann feuerte Royer und schoß vorbei.
Ich schoß ebenfalls, aber ich zielte auf einen Fasan, der mit
langen Schritten und flatternden Schwingen aus einer Senke auftauchte
und aufflog. Ich traf ihn und merkte mir den Ort, an dem er
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