PR TB 110 Formel Des Todes
besonders weit hob oder senkte. Auch die seitlichen Schwankungen
hielten sich in Grenzen.
Der Aufstieg endete auf einem kleinen Marktplatz zwischen
spitzgiebeligen Häusern, die halb aus dem Felsen geschlagen,
halb aus den dabei anfallenden Bruchsteinen bestanden. Dort warteten
bereits sechs gesattelte Koumura Roba, daneben unterhielten sich die
Reiter. Einer von ihnen sah Maras Lombardi, ging auf das Tier zu und
winkte Maras, herunterzusteigen
„Es ist ein Freund Sigillaris!“ sagte der Reiter und
kletterte nach Maras über die Strickleiter herunter. „Wir
sollen ihn schnell und sicher zur Stadt der Schamanen bringen, nach
Inaovanrhat Dherra.“
Der Häuptling ergriff Lombardis Hand und sagte:
„Das sind meine tapferen Männer. Sieh ihre Waffen, sieh
den Mut, der aus ihren Augen blitzt!“
Höflich erwiderte Maras:
„Sie sind überaus kühn, und die Gegner fürchten
die Wut ihrer Antlitze. Dann bist du Corsalis Daph?“
„Abermals wahr geredet, Fremder. Willst du noch den
Schamanen sprechen? Ich denke, er schläft schon. Wir bringen das
Papier in vier schnellen Tagesmärschen in die Stadt der Kugel!“
„Dort ist mein Ziel!“ erwiderte Maras. „Ich habe
schlecht oder gar nicht geschlafen, und es wäre mir lieb, wenn
ihr gleich starten würdet!“
Der Häuptling nickte beifällig; trotz seiner
Ahnungslosigkeit hatte Maras die richtigen Worte gefunden.
„Dort hinauf! Du bist Ehrengast. Du reitest mit mir! Ich bin
der wildeste Reiter des Stammes!“ sagte Corsalis Daph.
Der Häuptling gab, sobald die Papierballen verstaut und
gesichert waren, ein Zeichen. Je zwei Reiter stiegen in die Sitze der
Sättel.
Sie saßen nebeneinander und schnallten sich mit breiten
Gurten an, die schräg über die Brust verliefen. Maras ahmte
alles nach, was er von Corsalis Daph sah, einem Mann, der aus einer
alten Sage entsprungen zu sein schien.
„Ho! Los!“ schrie der Häuptling und riß
heftig am Zügel.
Der Koumura Roba hob den Kopf, klapperte mit den Hornplatten und
setzte sich langsam in Bewegung. Er kletterte zunächst eine
doppelt geschwungene Wendeltreppe hinauf, verschwand zwischen zwei
Felsen, und als Maras einen letzten Blick über die Schulter
warf, sah er auch, warum diese Siedlung einen so poetischen Namen
trug. Der Mond, der gerade hinter dem Horizont verschwand, mußte
kurz vor seinem Untergang genau zwischen den beiden hochragenden
Felsen des Buchteinganges schweben. Es ergab sich somit die
scheinbare Silhouette einer Kugel in einem Zylinder, denn die
Felswände waren, von hier aus gesehen, vollkommen gerade.
„Ho!“
Die Felsen wichen zurück, eine Ebene erstreckte sich weit vor
den Blicken der Reiter. Abermals riß Daph an den Zügeln.
Das Tier wurde schneller und bewältigte Hindernisse, die kleiner
als fünf Meter waren, ohne jede sichtbare und fühlbare
Reaktion. Es sah so aus, als kröche ein Wurm oder ein schlanker
Tausendfüßler in rasender Eile über einen leicht
unebenen Boden.
Lombardi lehnte sich zurück, begann nachzudenken und schlief
ein. Eine Stunde später war er wieder wach, und die Wirkung des
Alkohols war vorbei.
Zunächst sah er rund um sich und die anderen Koumura Roba,
die in einer langgezogenen Reihe in der Spur des Häuptlingsreittiers
dahinrannten, das typische Gelände einer versteppenden,
kränkelnden Landschaft. Als zweites Zeichen entdeckte er die
vielen kleinen Herden der Hoorr, die nur
deshalb flohen, weil sie fürchteten, von den Echsenfüßen
der Raubtiere zertrampelt zu werden. Nicht einmal tauchten Geier auf,
Aasvögel, nicht einmal sah man einen Ducrot. Zum Teil war die
Ebene bereits versandet, zum anderen Teil bildeten sich aus
zusammengebrochenen Wäldern Zonen niedriger Kümmerpflanzen,
und die gesamte Landschaft trug unauslöschlich den Stempel des
Verfalls.
„Jagt ihr die Hoorr?“ erkundigte sich Lombardi. Der
Mann neben ihm wandte ihm unter einem leuchtenden Kupferhelm ein
verächtliches Gesicht zu.
„Wenn wir jagen, dann nur das königliche Tier, den
Roba. Oder höchstens noch die Ducrot, wegen des Felles und des
Geldes.“
„Warum jagt ihr die Hoorr nicht?“
„Weil sie nicht einmal einen Pfeilschuss wert sind!“
war die erstaunte Antwort. „Fängt ein Adler Ameisen?“
„Und verkümmern bei euch auch die Bäume, besonders
die nahrhaften Palmen?“
„In rasender Eile. Bald wird es ganz neue Wälder
geben.“
Die Antworten, die auch dieser Häuptling gab, waren in
Wirklichkeit Formeln des Sterbens. Langsam verfiel alles.
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