PR TB 110 Formel Des Todes
Geschwindigkeit nach Osten. In dem
Augenblick, da das Schiff zu schnell wurde, würde es die rasende
Strömung der gigantischen Brandungswelle nach vorn und nach
hinten reißen und es im tödlichen Strudel zermalmen.
Jemand schrie neben ihm:
„Wenn wir zu langsam werden, fallen wir zu stark ab und
verlieren die Welle.“
Und wenn sie zu schnell wurden, starben sie. Nicht ganz so
gefährlich war es, wenn das Schiff aus dem geraden Kurs
auswich, der immer senkrecht zu der Linie der Tsunami, der
Flutwelle verlief. Eine rasende Fahrt begann.
Sigillari stand wie ein Zyklop an Deck. Seine Stiefel steckten in
Schlaufen aus dicken Tauen, die aus dem Deck herauswuchsen. Er war so
angeschnallt, daß alle Seile reißen konnten.
Selbst zwei Ruder konnten brechen, die Untersetzungen konnten
zerfetzt werden, und er würde, umtost vom Wasser, von
aufgeregten Fischen, die in die Luft sprangen oder geschleudert
worden waren, weitersteuern können.
Er sah aus wie ein wütender Dämon, der rittlings auf der
Windsbraut saß.
Wenn sich in zwei Stunden die Welle an den Felsen der Stadt brach,
würden sie mehr als dreizehn Tage Zeit eingespart haben.
Zeit... für Maras Lombardi.
Er stand da, warf einen Blick hinaus auf dieses nasse Inferno und
hoffte, daß sein Glück auch weiterhin anhalten würde.
Daß er einmal in seinem Leben auf einer Tsunami reiten und sich
über einen Wasserstreifen mit der Geschwindigkeit eines
fahrenden Gleiters bewegen würde, hätte er sich nicht
träumen lassen. Aber das galt auch für viele andere Dinge.
Von AI Cur-Sura bis zur Stadt waren es dann nur noch vier Tage.
Sie würden reiten, wenn sie das Papier schmuggelten, hatte
Sigillari erklärt. Sie, das waren Corsalis Daph und seine
Männer.
Noch vier Tage und einige Stunden ...
Wenn das Schiff nicht zerschellte!
9.
Die rasende Fahrt näherte sich ihrem Ende, als die
messerscharfen Klippen vor AI Cur-Sura aus der Dunkelheit
auftauchten. Der Himmel war wolkenlos, der Mond hing über den
Riffen, und das beginnende Minimum von Arzachena warf schwaches Licht
über alles. Der Tsunamireiter war während der letzten
Stunden leicht nach Backbord abgefallen; winzige Ausschläge des
Steuerruders hatten die Abdrift bewirkt. Jetzt, als sich zwei oder
drei Kilometer nördlich des Schiffes die
rollende Brandungswelle in zehn Metern Höhe an den Klippen
vor AI Cur brach, erschallten wieder Kommandos.
„Bereit für die Segel!“ „Anschnallen und
festhalten!“ „Backbordmanöver steht bevor!“
„Verstanden!“
Das System von Winschen und Hebeln, Seiltrommeln und
Untersetzungen bewegte sich langsam. Die Männer waren
hervorragend aufeinander abgestimmt. Dicht vor dem Eingang einer
kleinen Bucht, an deren fernem Ende einige Lichter zu erkennen waren,
fuhren auf der Steuerbordseite des Gleiters elf Ruder heraus. Wieder
erschollen Zurufe. Dann herrschte Stille.
Schließlich, als sich die Riemen tief ins Wasser bohrten,
riß Sigillari das Ruder herum. Das Schiff, bisher auf dem Kamm
der rollenden Welle, besaß genügend eigene Energie, um
damit eine gewisse Strecke weiter -zugleiten. Es legte sich
gefährlich schräg, wendete sozusagen auf dem Kamm und
kämpfte dann gegen die Strömung und gegen das Zerren des
Wassers an. Ruder wurden herausgezogen und auf der gegenüberliegenden
Seite des Schiffes eingesetzt. Zwei Männer zogen die Segel auf.
„Ruder einziehen!“
Inzwischen hatte die Wasserwelle den Hafeneingang erreicht. Mit
furchtbarem Getöse prallte sie gegen die Felsen und schien sie
ins Wanken bringen zu wollen. Eine Wand aus Gischt entstand und fiel
langsam wieder zusammen. Der Rest der Randwoge raste weiter nach
Osten, die Wassermassen drängten sich in die Bucht hinein und
richteten ein furchtbares Hochwasser an. Aber in den vielen
Jahrhunderten, in denen immer wieder solche Riesenwellen die Bucht
verwüsteten, hatten die Leute gelernt, ihre Häuser hoch
genug über der Gefahrenlinie zu bauen. So riß das Wasser
nur Treppen und ein paar Fischerboote auseinander und flutete dann
wieder langsam zurück.
Wieder vollführte der Gleiter eine Wende, setzte die Segel,
die sich alsbald füllten, und rauschte in majestätischer
Fahrt in den natürlichen Hafen AI Cur-Suras hinein. Die Männer
schnallten sich los und befreiten auch Lombardi von seinen Schnüren.
„Wir sind da. Und dein Weg wird sehr schnell sein in den
nächsten Tagen!“ sagte Sigillari und entzündete eine
Fackel. Er gab eine Reihe von Signalen, dann wurde auch weit oben vor
den
Weitere Kostenlose Bücher